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23. Februar 1848: 175. Todestag von Ballonfahrerin Wilhelmine Reichard

Wenn sie durch den Himmel schwebte, standen den Deutschen die Münder offen: Wilhelmine Reichard war die erste professionelle Luftschifferin Deutschlands. Doch nicht nur die Abenteuerlust trieb Reichard, als erste deutsche Frau allein einen Heißluftballon zu führen: Mit den Einnahmen sicherte sie die wirtschaftliche Existenz der Familie.

Herkunft und Eheschließung

Geboren wurde sie am 2. April 1788 als Johanne Wilhelmine Siegmundine Schmidt in Braunschweig. Für die Eltern Sigismund David Schmidt und Juliane Wilhelmine Henriette war Wilhelmine das dritte von insgesamt neun Kindern.

Nach einer unaufgeregten Kindheit und Jugend heiratete die 19-jährige Wilhelmine 1807 den Chemiker Gottfried Reichard. Mit ihrem Mann zog sie bald nach der Hochzeit nach Berlin und bekam das erste von acht gemeinsamen Kindern. In Berlin hatte Gottfried Reichard einst den ersten deutschen Ballonaufstieg von Luftfahrtpionier Friedrich Wilhelm Jungius beobachtet; nun wollte er es ihm nachtun. Der Chemiker konstruierte – wohl mithilfe seiner Frau – einen eigenen Gasballon, mit dem ihm 1810 der erste Aufstieg gelang.

Aufstiege im Ballon

Die Begeisterung für die Eroberung der Lüfte ergriff auch die junge Wilhelmine. Schon ein Jahr nach der Jungfernfahrt ihres Mannes kletterte die 23-Jährige am 16. April 1811 selbst in die Gondel und stieg als erste deutsche Frau allein mit dem Ballon in die Lüfte. Sie schrieb Geschichte als erstes „luftschiffendes Frauenzimmer“.

17 Aufstiege absolvierte Wilhelmine Reichard in den folgenden neun Jahren. Bei ihrer dritten Ballonreise erlebte die Luftschifferin, dass die Abenteuer in der Luft auch ein gehöriges Risiko mit sich brachten. Nach dem Start in Dresden am 30. September 1811 stieg Reichard, schwanger mit ihrem dritten Kind, in ihrem Ballon auf über 7000 Meter und wurde bewusstlos. Als sie zu sich kam, hing die Gondel in den Baumwipfeln des Wachberg in der Sächsischen Schweiz, der Ballon war zerfetzt. Die Bruchlandung in den Bäumen hatte einen Absturz und damit Reichards Tod verhindert. Die Beinahe-Katastrophe brachte der jungen Luftschifferin noch mehr Aufmerksamkeit.

Wilhelmine Reichard als Medienprofi

Die Reichards erkannten schnell, dass in der Aufmerksamkeit für die Luftfahrt-Abenteuer wirtschaftliches Potenzial lag. Schon vor den Fahrten wurden Pressemitteilungen verschickt, um möglichst große Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Luftschifferin verfasste Berichte ihrer Fahrten, die als kleine Broschüren gedruckt und verkauft wurden. Sie dekorierte die Gondel mit Blumen, ließ Tauben aus der Gondel steigen oder warf Gedichte über den staunenden Zuschauerinnen und Zuschauern ab. Vor und nach den Fahrten berichtete die Presse, Reichard stellte außerdem ihren Ballon aus. Gegen Bezahlung nahm sie sogar Gäste in ihrer Gondel mit in die Höhe.

Zwar unternahm auch Gottfried Reichard weiterhin Fahrten im Ballon, doch die sorgfältig choreografierten Auftritte seiner Frau zogen ein größeres begeistertes Publikum an. So sorgte Wilhelmine Reichard für den wirtschaftlichen Unterhalt der Familie: Mit den Einnahmen konnte das Ehepaar 1814 ein Grundstück in Freital bei Dresden kaufen, ein Jahr später bekam ihr Mann von der Königlich Sächsischen Hohen Landesregierung die Konzession für eine „Fabrik technisch- und pharmazeutisch-chemischer Präparate“. Seine Gattin kletterte weiterhin in die Gondel: Mit ihren Auftritten in Berlin, Hamburg, Aachen, und Brüssel finanzierte mit den Einnahmen den Zukauf weiterer Grundstücke. Bestaunt vom österreichischen Kaiser Franz trat sie außerdem in Prag und Wien auf.

Auch wissenschaftlich machten sich Wilhelmine Reichard und ihr Mann verdient: Sie sammelten Informationen über die Luftschichten in mehreren Tausend Metern Höhe, führten Temperatur- und Luftdruckmessungen und meteorologische Beobachtungen durch. Von einer Reise über ihre Heimatstadt Braunschweig im Jahr 1818 berichtete Reichard, dass sie im Auftrag eines Wissenschaftlers eine Luftprobe mitbrachte: „Professor Fricke hatte zu dem Ende ein von ihm sehr zweckmäßig eingerichtetes Werkzeug mir mitgegeben, welches mir gestattete ohne alle Mühe die Luft unter Quecksilber zu sperren.“

Ruhestand und Alter

Am 1. Oktober 1820 beendete Wilhelmine Reichard mit einer Fahrt über die Theresienwiese beim zehnten Münchner Oktoberfest ihre Karriere als Luftschifferin. Mit 32 Jahren zog sie sich ins Privatleben zurück.

Ruhiger wurde ihr Leben nicht: 1821 begann Gottfried Reichard mit dem Bau einer Schwefelsäurefabrik – der damals modernsten in Sachsen. Fortan war Wilhelmine Reichard Fabrikantengattin, bis 1834 bekam sie außerdem noch drei weitere Kinder.

Wilhelmine Reichard war ihrem Mann in den Jahrzehnten bis zu dessen überraschendem Tod 1844 mit nur 58 Jahren enge Beraterin und Entscheidungshilfe bei der Führung der Fabrik. Sie starb am 23. Februar 1848 mit 60 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls und wurde in Freital bestattet.

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