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15. August 1947: 75. Jahrestag der Unabhängigkeit Indiens

Am 15. August 1947 endete das seit 1858 bestehende British India (Britisch-Indien) und brachte zwei unabhängige Staaten hervor: Indien und Pakistan. Letzteres bestand bis 1971 aus den Teilen Westpakistan (heute: Pakistan) und Ostpakistan (heute: Bangladesch). Diese Teilung entsprach nicht den Vorstellungen des Anführers der Unabhängigkeitsbewegung Mahatma Gandhi von einem geeinten unabhängigen Indien. Doch schon während der Kolonialzeit hatten sich verschiedene nationale Unabhängigkeitsbewegungen herausgebildet. Rivalität und Misstrauen gewannen in dem Verhältnis zwischen der hinduistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit die Oberhand.

Der Beginn der britischen Kolonialherrschaft mit der East India Company

Die englische Kolonialherrschaft setzte mit der im Jahr 1600 gegründeten Handelsgesellschaft East India Company (Ostindien-Kompanie) ein. Diese stieg ab der Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem königlich verbrieften Monopol, den gesamten Handel zwischen England und dem Osten abzuwickeln, zum bestimmenden Machtfaktor in Indien auf. Sie errichtete anfänglich Handelsstationen, vertrieb mit immer weiter zunehmenden militärischen Befugnissen die portugiesische, niederländische und schließlich auch die französische Konkurrenz und expandierte dadurch weiter. Sie besaß die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden, hatte zivil- und strafgerichtliche Rechte inne und baute schließlich eine Verwaltung in ihrem Handels- und Herrschaftsgebiet auf. Mithilfe ihrer Truppen, die aus bis zu 250.000 (hauptsächlich indischen) Soldaten bestanden, besetzte sie Teile des gesamten indischen Subkontinents.

Durch mehrere Gesetze wurde die Ostindien-Kompanie in den 1770er- und 1780er-Jahren in eine autonome Verwaltungsorganisation unter Kontrolle der britischen Regierung umgewandelt. Mit dem 1773 geschaffenen Amt des Generalgouverneurs und Vizekönig von Indien sollte die Korruption beseitigt und eine einheitliche Politik umgesetzt werden.

Die britische Krone wird Kolonialmacht

Die Unterdrückung und Ausbeutung der indischen Bevölkerung durch die East India Company führte immer wieder zu Aufständen. Als die indischen Soldaten im Aufstand von 1857 (Sepoy-Aufstand) im Gangesgebiet und Zentralindien gegen ihre britischen Befehlshaber meuterten, wurden die Gebiete der Handelsgesellschaft nach der Niederschlagung der Unruhen 1858 aufgelöst und in eine Kronkolonie umgewandelt, ab 1876 mit Königin Victoria von Großbritannien als Kaiserin von Indien. Damit stand die Hälfte der Landfläche Indiens nun unter direkter britischer Herrschaft. Dies führte in der Folgezeit zu Reformen in den Bereichen Verwaltung, Kolonialverfassung und Militär sowie zu Modernisierungsmaßnahmen von Verkehr und Kommunikation. Die restlichen Gebiete waren mehr als 500 einheimische Fürstenstaaten unterschiedlichster Größe, die in einem persönlichen Treueverhältnis zur britischen Krone standen.

Der Beginn der Unabhängigkeitsbewegung mit der Gründung des Indian National Congress (INC)

1885 gründeten Hindus, Muslime und Briten den Indischen Nationalkongress (Indian National Congress, INC), die spätere Kongresspartei, mit dem Ziel, die indische Bildungsschicht stärker an der Kolonialverwaltung zu beteiligen. Anfang des 20. Jahrhunderts gewann der INC an Bedeutung. Er spielte eine führende Rolle bei der Massenbewegung gegen die Teilung der Provinz Bengalen 1905, die von nationalbewussten Indern als ein Versuch der britischen Kolonialherren angesehen wurde, Muslime und Hindus gegeneinander auszuspielen. Im Jahr 1906 gründete sich die All-India Muslim League (Muslimliga) als Ausdruck eines erstarkenden Bewusstseins der muslimischen Bevölkerung und als Gegenspieler zu den immer einflussreicheren Hindus im INC. Dennoch verfassten beide Organisationen 1916 eine gemeinsame Erklärung (Lucknow-Pakt), in der sie noch nicht die vollständige Unabhängigkeit Indiens, sondern eine Selbstregierung ihres Landes forderten. Die britische Regierung reagierte lediglich mit einer vagen Absichtserklärung.

Gewaltloser Widerstand und Non-Cooperation-Policy nach dem Ersten Weltkrieg

Unter der Führung Mohandas Karamchand Gandhis, der 1915 endgültig aus Südafrika nach Indien zurückgekehrt war, wurden in der Zwischenkriegszeit Formen des gewaltfreien Widerstands (Satyagraha) geübt und eine Non-Cooperation-Policy gegen die britische Herrschaft durchgeführt. Sie waren Gandhis Antwort auf die blutige Niederschlagung der friedlichen Proteste in Amritsar 1919, die sich gegen die Verlängerung des im Ersten Weltkrieg eingeführten Ausnahmezustands richteten. Dabei entwickelte sich die anfänglich elitäre Kongresspartei zu einer mächtigen Massenbewegung. Die Montagu-Chelmsford-Reformen (Mont-Ford Reforms) von 1921, die das Wahlrecht für zehn Prozent der erwachsenen männlichen Bevölkerung zusicherte und die gesetzgeberischen Befugnisse der zentralen und provinziellen Gesetzgebungsräte erweiterten, lehnte Gandhi als zu geringfügig ab. Die Kongresspartei forderte die nationale Unabhängigkeit bis zum 26. Januar 1930.

Gandhis Aufrufe zum Widerstand befolgten auch andere Gruppen wie die Sikhs, die Gerechtigkeitspartei im Süden Indiens und die Anhänger von Bhimrao Ramji Ambedkar, des politischen Führers der Unberührbaren (Dalits) und späteren „Vaters“ der indischen Verfassung. Am 12. März 1930 brach Gandhi zu dem legendären Salzmarsch ans Arabische Meer auf, dem hunderte Menschen folgten. In einer Aktion des zivilen Ungehorsams lernten die Inder, aus dem Salzwasser Salz herzustellen und wehrten sich so gegen das britische Monopol zur Salzgewinnung. Auf den Londoner Round-Table-Konferenzen von 1930 bis 1932 über die künftige Verfassung Indiens wurde die Kongresspartei erstmals als direkter Verhandlungspartner und Vertreter indischer Interessen von der britischen Kolonialmacht anerkannt.

Durch das Gesetz „Government of India Act 1935“ erhielten die Provinzen Britisch-Indiens eine relativ weit reichende Autonomie zugesprochen. Bei den Wahlen 1937 gewann der INC die Mehrheit in acht der elf Provinzen und bildete die Provinzialregierung ohne Beteiligung der Muslimliga.

Zuspitzung während des Zweiten Weltkriegs

Als der Vizekönig Lord Linlithgow am 3. September 1939 den Kriegseintritt Britisch-Indiens aufseiten des Empire erklärte, ohne die gewählten indischen Volksvertreter vorher zu konsultieren, traten die vom INC geführten Provinzialregierungen unter Protest zurück. Die Muslimliga unter Muhammad Ali Jinnah stellte sich hingegen hinter die Kriegsanstrengungen Großbritanniens und steigerte damit maßgeblich das Gewicht seiner Partei als Verhandlungspartner Großbritanniens. Im März 1940 gab die Liga öffentlich die Bildung eines muslimischen Staates als ihr Ziel bekannt.

Als Stafford Cripps im März 1942 als Mitglied von Churchills Kriegskabinett in Indien bei den Führern des Kongresses um Unterstützung gegen das Deutsche Reich warb und dafür Indien den Status eines „Dominion“(Selbstverwaltung) nach dem Krieg zusicherte und jeder Provinz das Recht einräumte, über den Beitritt selbst zu entscheiden, wurden die Vorschläge von dem INC wegen des unbestimmten Zeitpunkts zurückgewiesen. Die Muslimliga lehnte den Vorschlag ab, da sie die einheitliche Schaffung eines islamischen Staates anstrebte. Für die Übertragung der Macht gab es auf indischer Seite keine gemeinsamen Vorstellungen.

Der INC organisierte weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams, um die vollständige Unabhängigkeit durchzusetzen. Im August 1942 rief Gandhi, der sich nach wie vor für die Einheit von Hindus und Muslimen einsetzte und sich gegenüber radikaleren Strömungen innerhalb des INC abgrenzte, zur gewaltfreien „Quit-India-Kampagne“ („Gebt Indien auf!“) auf. Mit ihr wurden die britischen Kolonialherren zum vollständigen Rückzug aus Indien aufgefordert. Die Aktion wurde niedergeschlagen, Gandhi, Jawaharlal Nehru, der spätere erste Ministerpräsident Indiens, und andere führende Parteimitglieder festgenommen und bis Kriegsende interniert. Landesweit wurden 60.000 Menschen verhaftet und ein generelles Versammlungsverbot erlassen.

Während Großbritannien die Kontrolle der sich immer weiter polarisierenden und eskalierenden Lage in British India mehr und mehr zu entgleiten drohte, kämpften 2,5 Millionen Inder als größtes Freiwilligenheer der Welt an der Seite Großbritanniens gegen Japan und die Achsenmächte. Um sie für den Kampf zu gewinnen, hatte Großbritannien die Atlantik-Charta unterzeichnet, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker festschrieb.

Unabhängigkeit und Zweiteilung nach dem Mountbatten-Plan

Die Unterhauswahlen am 5. Juli 1945 gewann die Labour-Partei, die für die Unabhängigkeit Indiens eintrat. Der neue britische Premierminister Clement Attlee verkündete am 3. Juni 1947 die Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit.

Die unvermeidliche Teilung, die Gandhi und Nehru notgedrungen akzeptierten, führte nach dem von dem britischen Generalgouverneur und Vizekönig von Indien, Lord Mountbatten, entworfenen Mountbatten-Plan zur Errichtung zweier unabhängiger Dominions und zur Übergabe der Staatsmacht am 14. August 1947 an Pakistan und einen Tag später an Indien. In den Provinzen Punjab und Bengalen sollten dabei Grenzkommissionen eingesetzt werden. Die Maharadschas der Fürstenstaaten sollten selbst entscheiden können, welchem Staat sie sich anschließen.

Was bleibt von Nehrus berühmter Rede „Tryst with Destiny“?

Am 14. August 1947 um Mitternacht trat Nehru vor die Verfassungsgebende Versammlung Indiens in Neu-Delhi und begrüßte die Unabhängigkeit seines Landes mit seiner Rede „Tryst with Destiny“ („Begegnung mit dem Schicksal“), in der er die historische und weltpolitische Bedeutung der Gründung betonte und die Ziele des neu gegründeten Staates formulierte: Demokratie, Armutsbekämpfung und Gleichstellung.

Die Grenzziehung zwischen den beiden Ländern, die Radcliffe-Linie, wurde erst am 16. August 1947 bekannt gegeben und löste überstürzte Flüchtlings- und Umzugsbewegungen von rund 12 Millionen Menschen aus. Denn auf beiden Seiten kam es zu Gewaltausbrüchen gegen die jeweiligen Minderheiten in beiden Ländern, bei denen etwa eine Million Menschen starben.

Am 30. Januar 1948 wurde der 78-jährige Gandhi von einem fanatischen, nationalistischen Hindu erschossen.

Den erhofften Frieden brachte die Teilung nicht, da rund ein Drittel der Muslime in Indien blieb. Wegen des nördlichen ehemaligen Fürstenstaats Kaschmir kam es zu mehreren Kriegen zwischen den zu Atommächten aufgestiegenen Ländern Indien und Pakistan (1947/48, 1965, 1972, 1999) und einem Grenzkonflikt zwischen Indien und der Atommacht China (1962). Mit dem Regierungsantritt des Premierministers Narendra Modi von der Indischen Volkspartei (Bharatiya Janata Party, BJP) wurde der Autonomiestatus des Unionsstaats Jammu und Kaschmir mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung im August 2019 aufgehoben.

Mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern ist Indien jedoch die größte parlamentarische Demokratie der Welt und politisch weitgehend stabil. Es konnte große Erfolge bei der Armutsbekämpfung erzielen. Allerdings muss ein Drittel der Bevölkerung immer noch im Schnitt mit umgerechnet 1,90 US-Dollar und weniger am Tag auskommen.

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