08. Dezember 1949: 75. Jahrestag der Bildung des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft in der DDR
Mit dem „Gesetz über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ gestaltete die Provisorische Volkskammer der DDR am 8. Dezember 1949 die Judikative des wenige Wochen zuvor gegründeten ostdeutschen Teilstaats. In Ermangelung eines Verfassungsgerichts wurden jegliche letztinstanzlichen Strafverfahren – ob straf- oder zivilrechtlich – sowie alle Verfahren, in denen der Oberste Staatsanwalt Anklage erhob, vor dem Obersten Gericht in Ost-Berlin verhandelt. Trotz der personellen Trennung der Judikative von den übrigen Gewalten herrschte in der Verfassungsrealität aus zweierlei Gründen keine Gewaltenteilung in der DDR: Erstens wurden Richterinnen und Staatsanwälte qua Verfassung von der SED gewählt und waren an die Weisungen der Partei gebunden, der sie mehrheitlich auch angehörten. Zweitens prägten führende Persönlichkeiten des DDR-Justizsystems wie der Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer (SED, Amtsinhaber von 1949-1960) und die Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und spätere Justizministerin Hilde Benjamin (SED) ein Verständnis von Recht, das der Politik zu folgen und zu dienen habe. Dies kulminierte in der Verfolgung und Verurteilung vermeintlicher „Staatsfeinde“, auch in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Der in der Bundesrepublik bekannteste vor dem Obersten Gericht verhandelte Fall ist der Schauprozess von 1963 gegen den vormaligen Kanzleramtschef Hans Globke wegen seiner Vergangenheit im Reichsinnenministerium unter den Nationalsozialisten.
Vorgeschichte und verfassungsrechtliche Stellung der DDR-Gerichtsbarkeit
Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 mit der Annahme der Verfassung, die im Rahmen der demokratisch nicht legitimierten Volkskongressbewegung ausgearbeitet worden war, durch den zweiten Deutschen Volksrat gegründet. Dieser konstituierte sich gleichzeitig als provisorische Volkskammer (das Parlament der DDR), die daraufhin Wilhelm Pieck (SED) zum Staatspräsidenten wählte und Otto Grotewohl (SED) mit der Regierungsbildung betraute. Erst im Oktober 1950 fanden die ersten Volkskammerwahlen statt, bei denen die Wählerinnen und Wähler allerdings nur für oder gegen eine Einheitsliste abstimmen konnten, die die Sitzverteilung in der Volkskammer schon vor der Wahl festlegte. Nicht nur die Wahlen in der DDR, sondern auch die Rechtssprechung erfüllte keine demokratischen Standards, da das Oberste Gericht und die Oberste Staatsanwaltschaft verfassungsrechtlich nicht unabhängig von Exekutive und Legislative agieren konnten. Richter- und Staatsanwaltsposten wurden wie bereits das Studium der Rechtswissenschaften politisch kontrolliert und im Sinne des Marxismus-Leninismus gestaltet und an linientreue Genossinnen und Genossen vergeben. Besonders in den Jahren nach der Gründung, als das vorhandene juristische Personal mehrheitlich der NS-Justiz entstammte, etablierte die DDR außeruniversitäre Volksrichterschulen, die die unbelasteten Auszubildenden in mehrmonatigen Ausbildungen formal fürs Richteramt befähigten und sie gleichzeitig politisch-ideologisch indoktrinierten. Sowohl verfassungsrechtlich als auch in der Ausbildung und Besetzung wichtiger Posten im Justizapparat bestand demnach eine Abhängigkeit der DDR-Rechtssprechung von der SED.
Organisation und Agieren von Oberstem Gericht und Oberster Staatsanwaltschaft
So wurden die Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts etwa auf fünf Jahre und nach Vorschlag des Ministerrats (Exekutive) durch die Volkskammer (Legislative) gewählt. Geleitet wurde das Oberste Gericht von einem mehrköpfigen Präsidium. Hilde Benjamin (SED), die zwischen 1949 und 1953 das Amt der – überaus mächtigen – Vizepräsidentin des Präsidiums innehatte, nachfolgend zur Justizministerin aufstieg und diesen Posten bis 1967 behielt, prägte etwa im Prozess gegen die christliche Religionsgemeinschaft „Zeugen Jehovas“ 1950 eine Rechtsauslegung, die den politischen Zielen der DDR zu dienen habe. Unter ihrer Führung wurde 1952 in enger Absprache mit SED-Funktionären die erste Todesstrafe der DDR-Geschichte gegen den Widerstandskämpfer der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ Johann Burianek verhängt und vollstreckt. Der erste Strafsenat verhängte in den 40 Jahren des Bestehens der DDR mehrere Dutzend Todes- und lebenslängliche Zuchthausstrafen, die häufig politisch motiviert waren. Auch der Generalstaatsanwalt bzw. die Generalstaatsanwältin als oberste Ankläger am Obersten Gericht waren von der Volkskammer legitimiert und somit politisch kontrolliert. Als erster Amtsinhaber wirkte auch Ernst Melsheimer, der als Verfechter einer politischen Justiz im Sinne eines „Klassenkampfes von oben“ das Amtsverständnis auf Jahrzehnte prägte, entscheidend an mehreren Schauprozessen gegen regimekritische Journalisten, Politiker und vermeintliche Dissidenten mit.
Strafprozess gegen den Chef des Bundeskanzleramts Hans Globke
Hans Globke zählte in seiner Funktion als Chef des Bundeskanzleramts (1953-1963) in der jungen Bundesrepublik, die die DDR zeit ihres Bestehens besonders vor dem Hintergrund von NS-Kontinuitäten in Justiz und Verwaltung zu delegitimieren versuchte, zu den engsten Vertrauten von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Zwischen 1933 und 1945 hatte Globke im nationalsozialistischen Unrechtsregime verschiedene Posten im Reichsinnenministerium unter Wilhelm Frick (NSDAP) innegehabt, wo er 1938 zum Ministerialrat aufstieg. Er hatte unter anderem an der Ausgestaltung und Kommentierung der nationalsozialistischen Nürnberger Rassengesetze von 1935 mitgewirkt. Im Juli 1963 begann in der DDR vor dem Obersten Gericht ein Schauprozess gegen Globke, dessen Laufbahn als Exempel für die Kontinuität von Funktionseliten aus dem nationalsozialistischen Regime in der Bundesrepublik inszeniert wurde, obwohl ein Strafvollzug auf dem Gebiet der DDR in Abwesenheit Globkes ausgeschlossen war. Ziel des Prozesses war vielmehr die moralische Abwertung der Bundesrepublik gegenüber der eigenen Bevölkerung und damit einhergehend die Aufwertung des eigenen, dem Anspruch nach „antifaschistischen“ Staats. Im Prozess gegen Globke kristallisierte sich somit die Gründungserzählung der DDR, das „bessere Deutschland“ zu sein. Vor dem Obersten Gericht wurde er schließlich als „kaltherziger, verbissener Antisemit“ wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt, die jedoch nie vollzogen wurde. Das Oberste Gericht wurde im Zuge des Inkrafttretens des Einigungsvertrags vom 31. August 1990 aufgelöst.
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