04. September 1924 100. Todestag der bedeutenden Embryologin Hilde Mangold
Die Experimente von Hilde Mangold legten eine der wichtigsten Grundlagen in der Entwicklungsbiologie. Doch die Bedeutung ihrer Arbeit war lange nur Fachleuten bekannt. Denn ihre Entdeckung wurde nach ihrem Doktorvater benannt – der dafür sogar den Nobelpreis bekam.
Die Arbeit, die Hilde Mangold über Monate im Labor leistete, war mühsam und selten von Erfolg geprägt. Immer wieder musste sie über dem Bunsenbrenner die Spitze einer Glaspipette erhitzen und langziehen, um das Instrument für ihre Zwecke feiner zu machen. Dann entfernte sie mit der Pipette unter dem Mikroskop einen winzigen Teil eines millimetergroßen Molch-Embryos und transplantierte das Stück auf einen anderen Molch-Embryo. Über 250 Mal führte Mangold dieses Transplantationsexperiment durch. Nur etwa 30 Mal war es erfolgreich.
Mangold war eine Pionierin der Embryologie - jenem Teilbereich der Biologie, der die Entwicklung der befruchteten Eizelle und des Embryos studiert. Als sie sich vor 100 Jahren als junge Doktorandin über ihr Mikroskop beugte, hatte die Wissenschaftswelt zwar bereits die Zellteilung verstanden und wusste, dass sich Zellen schließlich für verschiedene Funktionen weiterentwickelten.
Mangolds Doktorvater Hans Spemann
Doch Mangolds Doktorvater, Hans Spemann, versuchte zu ergründen, was diese Entwicklung beeinflusste: Waren es genetische Informationen in der Zelle selbst, oder waren es äußere Einflüsse wie etwa Chemikalien? Um diese Frage zu beantworten, führte Mangold als seine Doktorandin Hunderte Experimente durch.
Der Verlegersohn Spemann, ab 1891 ein Studium der Medizin beginnend, arbeitete von 1894 bis 1908 am Zoologischen Institut im unterfränkischen Würzburg. Dort traf er auf die Hochschullehrer Theodor Boveri, Wilhelm Röntgen und Julius Sachs, die ihn prägten. Im Jahr der Geburt von Hilde Mangold habilitierte er sich mit einer zoologischen Arbeit für das Fach Medizin.
Mangold war am 20. Oktober 1898 im thüringischen Gotha zur Welt gekommen, als zweite von drei Töchtern des Ehepaars Ernst und Gertrude Pröscholdt. Der Vater leitete eine Seifenfabrik und konnte der Familie einen guten Lebensstil ermöglichen. Auch durch die Jahre des Ersten Weltkriegs kamen die Pröscholdts ohne größere Sorgen. Die Eltern legten großen Wert auf gute Bildung und ermöglichten ihrer Tochter Hilde zunächst den Besuch des Gymnasiums, was für Mädchen Anfang des 20. Jahrhunderts noch eine Seltenheit war. Anschließend lernte Hilde Pröscholdt einige Monate auf einer Hauswirtschaftsschule, bevor die Eltern ihr erlaubten, sich als Chemie-Studentin an der Universität Jena einzuschreiben.
Als sie erkannte, dass sie sich mehr für Biologie und Zoologie interessierte, wechselte sie an die Universität Frankfurt am Main. Dort hörte sie 1920 eine Vorlesung von Hans Spemann, einem der bekanntesten zeitgenössischen Biologen, der auf dem noch jungen Gebiet der Entwicklungsbiologie forschte. Wenige Monate später zog sie nach Freiburg, wo Spemann am Zoologischen Institut Experimente mit den Embryonen von Amphibien durchführte, um Zellteilung und die Entwicklung von Embryos besser zu verstehen.
Mit 21 Jahren wurde Hilde Pröscholdt Doktorandin bei Spemann. In seinem Labor traf die junge Frau auch ihren späteren Ehemann, den Zoologen Otto Mangold. Die beiden heirateten 1921. Im gleichen Jahr beauftragte Spemann Hilde Mangold mit der Durchführung der Versuche, die zu einer der wichtigsten Entdeckungen der Embryologie führen sollten.
Mangold und der sogenannte Urmund
Hilde Mangolds Versuchsreihe sollte Spemanns These beweisen, dass ein spezieller Bereich von Gewebe am Molch-Embryo – der sogenannte Urmund – Einfluss darauf nahm, dass das Embryo bestimmte anatomische Strukturen ausbildete.
Die Arbeit brachte gleich mehrere Herausforderungen mit sich: Das Forschungsteam züchtete die Molche nicht selbst, sondern musste jeweils auf die Laichzeit im Frühjahr warten, um mit den Eiern der Amphibien zu arbeiten. Hilde Mangold musste lernen, die Glaspipette über dem Bunsenbrenner für ihre Zwecke zu adaptieren. Und weil es noch keine Wege gab, um Zellen einzufärben, musste sie mit verschiedenfarbigen Molchen arbeiten. Nur so konnte sie später erkennen, ob sich das Original-Gewebe oder das transplantierte Gewebe weiterentwickelte hatte.
Schriftlich und mit detaillierten Zeichnungen dokumentierte Hilde Mangold die Versuchsreihe und deren Erfolg: Aus dem transplantierten Gewebe wuchsen schließlich zwei am Bauch miteinander verbundene Molche in unterschiedlichen Farben. Diese Beobachtung bestätigte die These, dass die Zellen des Urmunds diktierten, welche Art von Gewebe sich entwickeln würde.
Als Mangolds Doktorarbeit erschien, fügte ihr Doktorvater Hans Spemann gegen ihren Willen seinen Namen hinzu – bei seinen männlichen Doktoranden verzichtete er in der Regel darauf. Das Gewebestück des Vormunds, das Mangold untersucht und mit dem sie so viele Versuche durchgeführt hatte, wurde in der Embryologie als „Spemann-Organisator“ bekannt.
Hans Spemann wurde für seine Leitungen auf dem Gebiet der Embryologie und insbesondere für die Entdeckung des „Spemann-Organisators“ im Jahr 1935 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. In seiner Nobelpreis-Vorlesung erwähnte er Hilde Mangold zweimal. Er betonte aber, dass er sie angewiesen hatte, seine These zu untersuchen.
Dass Spemann die theoretische Arbeit leistete, steht außer Frage. Doch ohne Mangolds zeitaufwendige Versuche und ihre detaillierten Beobachtungen wäre der Beweis nicht erbracht worden. In den kommenden Jahren wurde deshalb Kritik laut, dass Spemann und die Fachwelt Mangolds Beitrag zum Forschungserfolg nicht ausreichend gewürdigt habe.
Wie Mangold selbst darüber dachte, bleibt ungewiss. Sie erlebte die Auszeichnung ihres einstigen Doktorvaters nicht mehr. Im Dezember 1923 hatte sie ihren Sohn Christian geboren. Wenige Monate später zog sie mit ihrem Mann Otto und Baby Christian nach Berlin. Als sie ihrem Sohn eines Tages das Fläschchen an einem Ölofen aufwärmen wollte, explodierte der Ofen. Hilde Mangold erlitt schwere Brandverletzungen und starb am 4. September 1924 mit nur 26 Jahren.
100 Jahre nach ihrem Tod erfährt die Forscherin zunehmend Anerkennung für ihre bahnbrechende Versuchsreihe und Beobachtung. Biologinnen und Biologen sind dazu übergegangen, den „Spemann-Organisator“ als „Spemann-Mangold-Organisator“ zu bezeichnen, um ihre Leistung sichtbar zu machen. In Freiburg, wo Mangold ihre Experimente durchführte, trägt seit 2018 eine Straße den Namen der jungen Forscherin. Und seit 2021 ehrt die Universität Freiburg sie auch auf dem Campus: Dort wurde eines der Forschungsgebäude in „Hilde-Mangold-Haus“ umbenannt.