Inflation, Wohlstandsverlust und Armut in Hessen
Alles wird teurer! Die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Wirtschaftskrieg zwischen Russland und der Europäischen Union sowie weitere Faktoren führen dazu, dass die Menschen weltweit unter massiv steigenden Preisen leiden und zunehmend von Wohlstandsverlust und Armut bedroht sind. Verarmung von breiten Bevölkerungsschichten, Hungerkrisen und globale Fluchtbewegungen sind die Folge. Oft sind direkte und indirekte Folgen von Armut tödlich, besonders im globalen Süden. Doch was bedeutet eigentlich Inflation? Welche Folgen hat ein Wohlstandsverlust bis hin zur Armut? Und in welchem Verhältnis stehen Inflation und Verarmungsprozesse zueinander?
Was ist Inflation?
Inflation ist ein anderes Wort für Kaufkraftverlust und Geldentwertung. Was das bedeutet, zeigt ein fiktives Beispiel: Ein Liter Milch kostete im Vorjahr 1 Euro, während dieser Liter Milch vor zwei Jahren noch 90 Cent kostete. Die Verbraucherin oder der Verbraucher muss demnach mehr Geld für den Erwerb von Milch aufwenden. Ein Preisanstieg von einzelnen Waren und/oder Dienstleistungen stellt aber noch keine Inflation dar. Erst wenn allgemein die Preise von Waren und/oder Dienstleistungen steigen, spricht man von einer Inflation. Eine hohe Inflation führt bei vielen Bürgerinnen und Bürgern zu berechtigten Ängsten: Wird der Euro in ihrem Geldbeutel morgen noch genauso viel wert sein wie heute? Was wird, um bei dem Beispiel zu bleiben, der Liter Milch oder die Strom- und Gaspreise im Jahr 2026 kosten? Können sie sich auf die Sicherheit ihres ersparten Geldes auch in Krisenzeiten verlassen?
Wodurch entstehen Inflation und Deflation?
Inflation ist der anhaltende Wertverlust von Geld durch steigende Preise. Preissteigerungen können verschiedene Ursachen haben, etwa die Verknappung bestimmter Güter oder Dienstleistungen. Derzeit sind zum Beispiel viele Baustoffe, aber auch Computerchips etc. auf dem Weltmarkt nur schwer erhältlich. Wegen der hohen Nachfrage erhöhen sich die Preise der Produkte. Dieser Preisanstieg wird von den Unternehmen an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben. Auch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kann die Inflationsrate beeinflussen.
Eine Deflation ist faktisch das Gegenteil der Inflation. Hier gehen die Preise kontinuierlich zurück, Güter und Dienstleistungen werden billiger. Die Gründe sind vielschichtig: die sinkende Nachfrage privater Haushalte oder aus dem Ausland nach Importwaren ist einer davon. Gefährlich ist eine Deflation, weil sie eine Abwärtsspirale in Gang setzen kann: Werden fallende Preise erwartet, werden Investitionen und Käufe zurückgestellt – die Wirtschaft gerät ins Stocken.
Was ist unter der sogenannten Inflationsrate zu verstehen?
Als Inflationsrate wird der prozentuale Anstieg des allgemeinen Preisniveaus in einem bestimmten Zeitraum bezeichnet, in der Regel ein Jahr, und zwar gemessen an einem Preisindex. Dazu werden monatlich Einzelpreise erfasst, und zwar von Waren und von Dienstleistungen, aufgeteilt in ca. 600 Güterarten. Diese umfassen den sogenannten Warenkorb.
Wie lassen sich die Auswirkungen und Gefahren von Inflationsraten beschreiben?
Steigende Inflationsraten können für die Verbraucher einen Verlust ihrer Kaufkraft bedeuten. Das heißt: Bürgerinnen und Bürger können sich weniger leisten. Anders formuliert: Für eine bestimmte zur Verfügung stehende Geldsumme können bei einem Anstieg der Inflation nicht mehr in gleichem Maße Güter oder Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Daher ist es für die Beurteilung inflationärer Anzeichen mitentscheidend, auf die Entwicklung von Löhnen und Gehältern zu schauen. Steigen sie in der Teuerung nicht oder im Verhältnis zum Anstieg der Preise zu wenig, schwindet die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten. Steigen diese unverhältnismäßig, schwächt dieses die Produktivität der Wirtschaft. Eine Lohn-Preis-Spirale, bei der kräftig steigende Löhne von den Unternehmen über höhere Preise zur Erhaltung der eigenen Gewinne weitergegeben werden, zahlt letztlich die Endverbraucherin und der Endverbraucher.
Zu den Profiteurinnen und Profiteuren einer hohen Inflationsrate gehören neben dem Staat, dessen Verbindlichkeiten bei einer höheren Inflationsrate sinken, solange die Zinsen nicht steigen, besonders Unternehmen und Betriebe, die nicht von den gestiegenen Preisen im Energie- und Rohstoffbereich betroffen sind. In einigen Branchen können Unternehmen grundsätzlich ihre Preise erhöhen und dadurch real höhere Einnahmen verbuchen. Problematisch ist eine Inflation jedoch für die Unternehmen und Betriebe, die durch gestiegene Rohstoff- und Energiepreise ihre Mehrkosten nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben können. Ein aktuelles Beispiel sind Bäckereien in Deutschland, die stark unter den inflationsbedingten Kostensteigerungen in der Produktion leiden.
Was ist unter der Inflationsangst der Deutschen zu verstehen?
Die „harte“ Deutsche Mark hatte nach 1948/49 fast den Stellenwert einer Grundgesetz-Bestimmung. Dass die Bundesbank für die D-Mark eine strikte, massiv auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik verfolgte, hat mit dem historischen Trauma der Deutschen zu tun: nämlich der Erfahrung der Hyperinflation des Jahres 1923 infolge des Ersten Weltkrieges. Als Hyperinflation wird eine Geldentwertung bezeichnet, die 50 Prozent im Monat in der Spitze übersteigt. Die Bilder vom Abholen von Wochenlöhnen in Rucksäcken und Schubkarren sind, zumal in Schulbüchern stets berücksichtigt, im Bewusstsein der Deutschen im 20. Jahrhundert gegenwärtig. Auch der Schwarzmarkt-Betrieb und die Entwertung der Reichsmark nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus 1945 sind Teil der deutschen Erinnerungskultur.
Wie beeinflussen Zentralbanken die Geldwertstabilität?
Frankfurt am Main ist Sitz der Europäischen Zentralbank. Die 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZB stammen aus ganz Europa. Insgesamt werden bei der EZB 24 Sprachen gesprochen. Die EZB ist für die Stabilität der Preise im Euroraum und die Sicherheit des europäischen Bankensystems zuständig.
Die Sicherung stabiler Preise ist in aller Regel die originäre Aufgabe der Zentralbanken, auch der EZB. Früher, vor der Einführung des Euro, war dies die Aufgabe der Deutschen Bundesbank. Preisstabilität interpretiert die EZB dann als gegeben, wenn die Inflationsrate im Euro-Währungsgebiet bei "unter, aber nahe" zwei Prozent liegt.
Üblicherweise erhöhen die Zentralbanken die Zinsen, wenn die Teuerung zunimmt, um die Preise stabil zu halten. Die EZB hat lange Zeit die Zinsen gesenkt, um auf diese Weise ein Anziehen der Inflation zu erreichen. Seit März 2016 lag der Leitzins im Euroraum bei 0,0 Prozent. Angesichts der Rekordinflation hat die Europäische Zentralbank kürzlich die größte Zinserhöhung seit Einführung des Euros beschlossen und den Leitzins von zwischenzeitlichen 0,5 auf 1,25 Prozent erhöht.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Inflation
Auf die Corona-Pandemie reagierte die EZB angesichts der bereits bei null liegenden Zinsen mit enormen Aufkäufen von verschiedenen Anleihen, um so zu versuchen, die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Preise sind in Deutschland 2020 in der zweiten Jahreshälfte durch die zeitweise gesenkte Mehrwertsteuer gedrückt worden. Außerdem ist die Konjunkturerholung nach dem Einbruch in der Corona-Krise zwischenzeitlich deutlich spürbar gewesen.
Warum steigen aktuell die Preise?
Die Verbraucherpreise legten laut Statistischem Bundesamt, das seinen Sitz in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden hat, im September 2021 gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,1 Prozent zu. Die Inflation in Deutschland erreichte damit einen neuen Höchststand seit 28 Jahren. Das hatte viele Gründe: Die Entwicklung hing unter anderem mit den hohen Energie- und gestiegenen Nahrungsmittelpreisen zusammen. Die Inflation des Jahres 2021 war aber auch eine Folge der niedrigen Preise von 2020.
Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 steigen die allgemeinen Lebenskosten sowie die Preise für Waren und Dienstleistungen noch schneller als zuvor an. Besonders betroffen sind die Preise für Strom, Gas, Treibstoffe und Lebensmittel, die generell zu den größten Inflationstreibern gezählt werden. Im August 2022 lag die Inflation bei 7,9 Prozent. Verlierer sind die kapitalärmeren Mitbürgerinnen und Mitbürger und arme Menschen.
Wohlstandsverlust und Armut in der Bundesrepublik
2022 hat die Armut in Deutschland laut Paritätischem Armutsbericht mit einer Armutsquote von 16,6 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen aktuell zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Corona-Pandemie. Damit ist fast jede und jeder Sechste in der Bundesrepublik von Armut betroffen.
Eine Person gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. 2021 lag dieser Schwellenwert für eine allein lebende Person in Deutschland bei 15.009 Euro netto im Jahr, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31.520 Euro netto. Besonders viele Alleinerziehende und Alleinlebende sind in der Bundesrepublik von Armut betroffen.
Für Personen im Ruhestand lag die Armutsgefährdungsquote bei 19,3 Prozent. Bei den Frauen ab 65 Jahren fiel das Armutsgefährdungsrisiko im Jahr 2021 mit 21,0 Prozent noch deutlich höher aus als bei den Männern derselben Altersklasse mit 17,4 Prozent.
Wohlstandsverlust und Armut in Hessen
Hessen ist eines der wirtschaftsstärksten deutschen Bundesländer und liegt bezüglich seiner Wirtschaftskraft im EU-weiten Vergleich auf einem der vorderen Plätze. Dennoch ist die aktuelle Armut in Hessen so hoch wie noch nie, während gleichzeitig die Kapitalstärkeren immer reicher werden und global agierende Unternehmen Rekordgewinne erwirtschaften.
Die Armut in Hessen stieg laut aktuellem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands im Jahr 2021 von 17,4 Prozent auf 18,3 Prozent. Auch im Vergleich mit anderen Bundesländern fällt Hessen von Platz 7 auf Platz 11 zurück. Armut in Hessen betrifft damit fast jede und jeden Fünfte/n.
Eine Inflation von 8 Prozent, wie wir sie im August 2022 im Zuge des Ukraine-Konflikts und nach der Corona-Krise in Hessen erlebten, verschärfte die bereits angespannte Lage weiter und führte bei vielen Betroffenen zu Existenzängsten. Gefühlte Perspektivlosigkeit, Ungerechtigkeitsempfinden, Zorn auf die sozioökonomischen Rahmenbedingungen und politische Unzufriedenheit können die Folgen sein. Wirtschaftliche Krisen bestärken häufig populistische politische Strömungen, die mit vermeintlich einfachen Lösungen Verbesserungen der Lebensumstände versprechen. Soziale Krisen, die durch wirtschaftliche Krisen ausgelöst werden, können für politische Systeme und speziell für demokratische Ordnungen eine große Herausforderung darstellen.
Besonders Armut ist kein Phänomen, was durch die Krisen der letzten Jahre ausgelöst wurde. Armut wird jedoch durch die Krisen und besonders durch eine hohe Inflationsrate massiv verschlimmert. Die Auswirkungen von Armut auf unsere Gesellschaft sind sozial, gesellschaftlich und politisch verheerend und stellen eines der größten Herausforderungen unserer Zeit dar.
Maßnahmen gegen Inflation und Armut
Dieser Gefahr sind sich Politikerinnen und Politiker in der Regel bewusst. Unter Inflationsbekämpfung oder Disinflationspolitik versteht man Maßnahmen, die der Inflation in einer Volkswirtschaft entgegenwirken. In der Theorie wird häufig eine restriktive Ausgabenpolitik, z.B. durch Stundung von Kreditrückzahlungen bzw. der Zinsen auf Kredite, eine Senkung der Ausgaben für die öffentlichen Haushalte, z.B. durch Subventionen, oder, in besonders extremen Situationen, die Einsetzung einer ausländischen Währung als offizielles Zahlungsmittel zur Senkung der Inflation vorgeschlagen. Zentralbanken können durch Zinsregulierungen, durch das verminderte Drucken von Bargeld und durch staatlichen Anleihenkauf Einfluss auf eine hohe Inflationsrate nehmen.
Um die akuten Gefahren der aktuell hohen Inflation, besonders im Energie- und Lebensmittelbereich, abzufedern, können sogenannte „Entlastungspakete“ Privathaushalte und Unternehmen bei der Bewältigung der Krise unterstützen. Diese müssen von der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat beschlossen werden. Ziel dieser Entlastungspakete ist es, die negativen Auswirkungen der Inflation schnell abzufedern.
Wie das Hessische Statistische Landesamt mitteilte, hatte die Inflationsrate in Hessen im Jahresdurchschnitt 2022 bei 6,8 Prozent und 2021 bei 2,8 Prozent gelegen. Im Laufe des Jahres 2023 ging die monatlich gemessene Inflationsrate zwar zurück, blieb aber bis zum Jahresende hoch. Im Februar 2024 lag die Inflationsrate – gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat – in Hessen bei nur noch 2,1 Prozent (Quelle: Pressemitteilung des Hessischen Statistischen Landesamtes vom 29.02.2024, https://statistik.hessen.de/presse/Inflationsrate-in-Hessen-im-Februar-2024).
Diese deutliche Abschwächung zeigt, dass die getroffenen Maßnahmen der Inflationsbekämpfung greifen: Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt mittelfristig stabile Preise bei einer Inflationsrate von 2,0 Prozent an.