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Interview mit dem Direktor der HLZ zum Kriegsende am 8. Mai 1945

Bildinformationen: 
ACBahn, Public domain
creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en, via Wikimedia Commons
Wikimedia Commons File: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aachener_Nachrichten_8._Mai_1945.jpg

Fragen an Dr. Alexander Jehn, Direktor des Hessischen Landeszentrale für politische Bildung

Frage:

Mit dem Datum des 8. Mai 1945 verbinden wir heute das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Vertreter der Deutschen Wehrmacht unterschrieben die bedingungslose Kapitulation. Der Nationalsozialismus war besiegt, Europa war von einem Terrorregime, das in der Geschichte seinesgleichen sucht, befreit. Das ist jetzt 75 Jahre her. Hat dieses Ereignis für unsere Gesellschaft heute noch eine Bedeutung?

Antwort Dr. Jehn:

Der 8. Mai 1945 steht für Ende und Anfang gleichermaßen. Wenn die Waffen schweigen und das Sterben an den Fronten aufhört, ist das ein Grund zur Freude. Und wenn ein verbrecherisches Regime, das diesen Krieg entfacht hat, über dieses Datum hinweg vollends zusammenbricht und beseitigt wird, mehrt sich die Freude. Im Januar 1933 hatte Deutschland seine Demokratie verloren, aber der 8. Mai 1945 war das symbolträchtige Startsignal, die Demokratie für die Deutschen zurückzuholen. Und unter dem Gründungsfundament von Europa liegt quasi dieses Datum als Dichtungsmasse, denn ohne die Kapitulation und die Beseitigung der Angst vor dem deutschen Vormachtstreben hätte es keinen europäischen Einigungsprozess geben können.

Frage:

Momentan werden wir weltweit von der Corona-Pandemie beherrscht. Unsicherheiten und Ängste haben auch gerade deswegen stark zugenommen. Kann uns rückblickend das Kriegsende 1945 hier Hoffnung geben?

Antwort Dr. Jehn:

Ja, denn der 8. Mai ist auch eine Mahnung, den Wert der Demokratie zu erkennen und diese nicht zu verspielen, sich für Freiheit und Menschenrechte aktiv einzusetzen. Die Ziele, die die Nationalsozialisten nach 1933 verfolgten, haben ja nicht nur Landkarten bis heute verändert. Sie haben das Denken verändert. Und dieses Gedankengut zwingt uns als Demokraten, gemeinsam eben für diese Freiheit Verantwortung wahrzunehmen. Demokratie heißt selbst Verantwortung übernehmen, nicht abzuducken und das Denken anderen zu überlassen. Ich muss mich in dieses Gemeinwesen aktiv einbringen. Demokratie ist eben das Gegenteil von der Bündelung des maximalen Eigennutzes. Nach dem 8. Mai 1945 begann wenige Monate später der Kalte Krieg in Europa, wurde der Eiserne Vorhang quer durch Europa gezogen, der erst 1989 fallen sollte. Obwohl der Eiserne Vorhang längst verrostet und der Kommunismus marxistisch-leninistischer Prägung in der Rumpelkammer der Geschichte verschwunden ist, wackelt doch die ein oder andere nach 1989 gewonnene Demokratie mitunter kräftig. Da sollten wir nicht selbstgefällig drüber hinwegsehen.

Frage:

Ist der 8. Mai dann sozusagen ein mahnendes Symbol für unsere Demokratie?

Antwort Dr. Jehn:

Wenn ich über die Besatzungs- und Teilungszeit mal hinwegsehe, die Phase von 1945 bis 1949 als notwendige demokratische „Vorglühphase“ für uns Deutsche bezeichnen möchte, dann ist die über 70jährige Zeitspanne der Bundesrepublik eine Erfolgsgeschichte. Salopp gesagt, mit den Amis kam die Demokratie nach Deutschland, aber die Bonner Republik hatte sich schrittweise, nicht ohne Mühen, in diesem Haus der Demokratie gut eingelebt. Ein Heimatvertriebener oder ein Ex-Insasse eines DDR-Gefängnisses, der wegen sogenannter Republikflucht einsaß, versieht das vielleicht mit anderen Gewichtungen und Betonungen. Es macht sich halt nicht jeder bewusst, dass sich in den von der Roten Armee der Sowjetunion besetzten Teilen Deutschlands zwei Diktaturen quasi die Klinke in die Hand gaben und dort erst 1989 Freiheit, Menschenrechte und Demokratie verwirklicht werden konnten. Da mahnt das Datum des 8. Mai noch einmal anders mit einer etwas veränderten Symbolik.

Andererseits bin ich kein Freund davon, Kalenderdaten über Gebühr zu polieren und daran zu viel Bedeutung dranzuhängen.  

Ich meine, wir sollten uns doch einfach darüber freuen und stolz auf das Erreichte in Deutschland und Europa sein. Denn das kommt leider oft zu kurz in unseren Betrachtungen.