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13. Juli 1972: 50. Jahrestag Abschluss der Verstaatlichungskampagne in der DDR

Private Betriebe hatten es in der DDR seit der Staatsgründung nicht leicht. Sie waren für die Funktionseliten schwer zu kontrollieren, galten als letzte Überreste des kapitalistischen Systems in der DDR und widersprachen dem Ideal eines vermeintlich gemeinwohlorientierten Arbeiter- und Bauernstaates. Bis 1972 existierten dennoch weiterhin knapp 11.000 Privat- und Familienbetriebe. Damit sollte von nun an aus Sicht des Parteiapparates der DDR Schluss sein.

Das Politbüro der SED beschloss deshalb in enger Abstimmung mit dem Kreml in Moskau am 8. Februar 1972 die Verstaatlichung aller noch in der DDR existierender Privatunternehmen und -betriebe nach sowjetischem Vorbild. Der Plan sollte schnell und effizient umgesetzt werden. Durch starken politischen Druck wurden die betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer dazu gedrängt, sich „freiwillig“ von ihren Betrieben zu trennen. Bereits vor 1972 waren Kreditvergaben auf das Engste an staatliche Beteiligungen gebunden. Ab dem Februar 1972 wurde gezielt nach vermeintlichen Verstößen gegen Preis- und Steuerregularien gesucht, um die Unternehmerinnen und Unternehmer strafrechtlich zu belangen. Die Entschädigungen für die Aufgabe der eigenen Unternehmen lagen weit unter den tatsächlichen Werten der Betriebe. Nur in den Augen der ostdeutschen Staatslenkerinnen und Staatslenker ausreichend „politisch zuverlässige“ Menschen hatten ab dieser Zeit das „Privileg“, in den „Volkseigenen Betrieben“ (VEB) arbeiten zu dürfen.

Ziel der Verstaatlichungskampagne

Ziel der letzten Verstaatlichungskampagne in der DDR war der endgültige Abschluss der sozialistischen Planwirtschaft nach dem Vorbild der Eigentumsform in der Sowjetunion. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges führte die sowjetische Besatzungsmacht Enteignungen und Verstaatlichungen von Privatunternehmen in den besetzten Gebieten durch. Dafür mussten geeignete Betriebsformen geschaffen werden. Von den rund 4.000 dieser bis 1948 aufgrund mehrerer Befehle der sowjetischen Militäradministration enteigneten Industriebetrieben wurden über 200 Großbetriebe nach der Verstaatlichung zunächst im Rahmen der Reparationspolitik in 25 Sowjetische Aktiengesellschaften transformiert. Diese Betriebe wurden bis 1953 als VEB an die DDR zurückgegeben. Vorbild der VEB war die Eigentumsform in der Sowjetunion, die als Blaupause für die Schaffung einer Zentralverwaltungswirtschaft in der DDR diente. Der VEB war eine bis 30. Juni 1990 bestehende Rechtsform der Industrie- und Dienstleistungsbetriebe in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR. Der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) wurden ab Juli 1948 ein Teil der VEB unterstellt.

Alle VEBs wurden von den Länderregierungen, unteren Gebietskörperschaften oder genossenschaftlich verwaltet. An der Spitze jedes VEB stand ein einzelverantwortlicher Werkleiter, der später auch Werk- oder Betriebsdirektor genannt wurde. Ihm zur Seite standen der Sekretär der SED-Betriebsparteiorganisation (BPO) und der Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Dem Werkleiter unterstellt waren mehrere Fachdirektoren (Technischer Direktor, Produktionsdirektor, Ökonomischer Direktor, Hauptbuchhalter). Ab Ende der 1960er Jahre wurden Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) schrittweise in Kombinate umgewandelt. Kombinate waren Zusammenschlüsse von produktionsmäßig eng zusammenarbeitenden Industriebetrieben zu einem Großbetrieb in der DDR. VVB und Kombinate wiederum waren der Verantwortung und Planung in der Staatlichen Plankommission (SPK), den Industrieministerien und deren Hauptverwaltungen unterstellt. Bis 1972 gab es in der DDR noch über 10.000 kleine und mittelständische Betriebe mit bis zu 100 Beschäftigten. Diese stellten häufig Nischenprodukte her, die wichtig für den Alltag waren. Erich Honecker machte Schluss mit dem Privatunternehmertum. Im Laufe der zweiten Sozialisierungswelle von 1972 wurden fast alle Industrie- und Baubetriebe, die noch privat und halbstaatlich waren, in zirka 11.000 VEB umgewandelt. Der Anteil der staatlichen Betriebe im industriellen Sektor stieg auf über 99 Prozent.

Gründe und Auswirkungen der Verstaatlichungskampagne

Die Verstaatlichung 1972 stand in direktem Zusammenhang mit einem Macht- und Richtungswechsel in der DDR. Walter Ulbricht hatte den in den 1960er Jahren noch existierenden Privatunternehmen mit seinem Reformexperiment des „Neuen Ökonomischen Systems“ noch gewisse Freiräume gelassen. Ulbrichts Sturz durch Honecker am 3. Mai 1971 wurde im inneren Machtzirkel des Politbüros mit dessen wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen begründet. Honecker ging es fortan um einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel und die Rückkehr zur Planwirtschaft der 1950er-Jahre.

In den kommenden Monaten wurden die rund 11.000 Industrie- und Baubetriebe liquidiert. Am 13. Juli 1972 vermeldet Honecker seinem politischen „Ziehvater“ und Kremlchef Leonid Breschnew den Abschluss der Verstaatlichungskampagne. Ein großer außenpolitischer Erfolg für Honecker in den Staaten des sogenannten Ostblocks, ein schwerer Schlag hingegen für viele Privatunternehmer in der DDR. Fortan gab es in der DDR private Betriebe nur noch vereinzelt im Handwerk und Kleingewerbe, ihr Anteil an der Gesamtwirtschaft war jedoch verschwindend gering.

Die Idee einer sozialistischen Planwirtschaft ohne private unternehmerische Initiative sollte – zunehmend geprägt durch Mangel und gestützt auf Auslandskredite – nach der letzten Enteignungskampagne noch 17 Jahre Bestand haben. Die kommunistischen Machthaber mussten schließlich spätestens 1989 feststellen, dass die Wirtschaft der DDR am Ende war.

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