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Orte der Demokratie und der Demokratiegeschichte in Hessen

Die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine wechselvolle Aneinanderreihung von Erfolgen und Rückschlägen, von Hoffnungen und Verdrossenheit, von Sicher- und Unsicherheit(en), von Fürsprache und Kritik, von Auseinandersetzungen und Kompromissen. Sie ist keine lineare Erfolgsgeschichte, sondern auch eine Geschichte von Kämpfen, Rückschritten und Niederlagen. Wenn die Geschichte der Demokratie in Deutschland etwas deutlich macht, dann ist es, dass jede demokratische Errungenschaft bedroht ist und verteidigt werden muss. Unsere demokratische Ordnung ist stets von inneren und äußeren Demokratiefeinden bedroht. Demokratische Verhältnisse, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland vorfinden, sind auf der Welt gegenüber Autokratien, Diktaturen und Scheindemokratien deutlich in der Unterzahl.

Was umfasst deutsche Demokratiegeschichte?

Die deutsche Demokratiegeschichte umfasst historische Ereignisse, Prozesse, Strukturen, Personen, Veränderungen und Anpassungen. Sie wurde von Akteurinnen und Akteuren sowie Gruppen an verschiedenen Orten in unterschiedlichen Organisationen und Institutionen vorangetrieben, ausgehandelt und gegen Widerstände erkämpft. Wichtige Themen waren immer Gleichberechtigung, Mitbestimmung, Freiheit, Solidarität, freie Wahlen, Forderungen nach parlamentarischen Ordnungen in der Politik, nach Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit sowie Grund- und Menschenrechten. Dabei gab es schon immer sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie eine Demokratie funktionieren kann und soll. Die Geschichte der Demokratie in Deutschland reicht von den Frühformen demokratischen Denkens und Handelns über die Freiheitsforderungen des Vormärz, der Revolution von 1848, der Weimarer Republik bis in die Gegenwart.

Entscheidende demokratische Ereignisse sind oft mit Orten verbunden, die zum Teil vergessen, umgebaut, beschädigt und/oder zerstört wurden. An den authentischen Orten der Demokratie und der Demokratiegeschichte in Hessen, die noch heute als Gebäude, Räume, Plätze und Stätten erhalten sind und besucht werden können, lässt sich ihre wechselhafte Geschichte besonders gut darstellen. Welche Bedeutung diesen Orten im Kontext der Entwicklung unserer Demokratie zukommt, ist vielen Menschen vielleicht gar nicht bewusst. Dabei sind sie als Erinnerungsorte besonders geeignet, um den Wert einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu vermitteln. Die Orte der Demokratie sollen Impulse für eine aktive Beteiligung am demokratischen Miteinander geben und dazu anregen, gesellschaftliches Zusammenleben aktiv zu gestalten.

Kontroverse Debatten nötig

Doch dürfen und sollen nur solche Orte Demokratieorte sein, die die positive Seite der Demokratiegeschichte repräsentieren? Wie gehen wir mit Orten um, an denen die Demokratie in Frage gestellt, deren Abschaffung beschlossen und gegen grundlegende demokratische Werte verstoßen wurde? Wie sprechen und diskutieren wir über Orte des Schreckens, der Unmenschlichkeit und Barbarei, die heute als dauerhafte Mahn-, Lern-und Erinnerungsorte an die Gefahren für die Demokratie und demokratische Gesellschaften erinnern? Zur Demokratie gehört die mitunter kontrovers zu führende Debatte, besonders auch darüber, was und welche Orte Demokratieorte sind oder sein können.

Mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2021, eine neue Bundesstiftung „Orte der Demokratiegeschichte“ als dritte Säule deutscher Erinnerungskultur ins Leben zu rufen, war auch der Anlass gegeben, eine Debatte anzustoßen, welche Orte in diese dritte Säule, neben den beiden Säulen NS- und SED-Aufarbeitung, hineingenommen werden müssen.

Stiftung Orte der Demokratiegeschichte

Die „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“, die am 9. Juni 2021 durch ein Gesetz zur Errichtung der „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ vom Bundestag beschlossen wurde, soll die Demokratiegeschichte in Verbindung mit den historischen Orten sichtbarer machen. Die Bedeutung solcher Lern- und Erinnerungsorte soll dadurch stärker in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden, um Anknüpfungspunkte für heutiges Handeln zu schaffen und Vorbild für ein demokratisches Miteinander zu sein. Viele Orte und Stätten in Deutschland standen zu verschiedenen Zeitpunkten im Mittelpunkt des Strebens nach Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Menschenrechten, sind jedoch heute nicht mehr allen Menschen bekannt.

Historische Vorbilder benötigt

Die ersten konzeptionellen Überlegungen der „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ fokussieren sich grundsätzlich auf authentische und bestehende Orte wie die Paulskirche in Frankfurt am Main. Die Stiftung soll die Vernetzung der Orte untereinander aktiv gestalten sowie die damit verbundenen und noch zu schaffenden Lern- und Erinnerungsorte miteinander verbinden. Mehrheitlich einig war sich der Bundestag darüber, dass demokratisches Engagement historische Vorbilder braucht. Diese Vorbilder sollen zeigen, dass einzelne Menschen etwas bewirken können. Die Geschichte hat mehrfach und gerade in den letzten Jahren immer wieder Zeit gezeigt, dass Demokratien fragil sind und zum Teil auch Scheitern können. Es ist notwendig, extremistischen, demokratiegefährdenden Strömungen entgegenzutreten und unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen.

Europäische und deutsche Freiheitsgeschichte

Ebenfalls in den Debatten im Bundestag wurde im Zuge der Errichtung der Stiftung festgestellt, dass Demokratiegeschichte auch unsere Freiheitsgeschichte darstellt und dass die bundesdeutsche Demokratiegeschichte nur als europäische Freiheits- und Demokratiegeschichte verstanden werden kann. Welche Rolle und Bedeutung den authentischen Orten der Demokratiegeschichte im Kontext der Entwicklung unserer Demokratie zukommt, ist vielen Menschen leider nicht bewusst. Die „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ soll das Engagement des Bundes koordinieren und bündeln. Ihre Arbeit soll in allen Regionen Deutschlands zum Tragen kommen und gemeinsam Konzepte zur Vermittlung von demokratischen Werten und Grundprinzipien erarbeiten. Ein erstes erarbeitetes Rahmenkonzept soll weiter ausgebaut und an die unterschiedlichen Bedingungen der Orte der Demokratie angepasst werden.

Paulskirchen-Stadt Frankfurt als Stiftungssitz

Sitz der Stiftung ist Frankfurt am Main. In der Paulskirche, im heutigen Zentrum von Frankfurt am Main, kamen am 18. Mai 1848 die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments zusammen, um über eine freiheitliche Verfassung mit Grundrechten und die Bildung eines deutschen Nationalstaats zu beraten. Die Paulskirche ist einer der Schlüsselorte deutscher Demokratiegeschichte. Sie soll in den kommenden Jahren in enger Zusammenarbeit zwischen der Stadt Frankfurt, dem Land Hessen und dem Bund saniert sowie durch die Neukonzeption eines direkt an der Paulskirche angeschlossenen „Hauses der Demokratie“ als Erinnerungsort auf der Basis der Empfehlungen einer Unabhängigen Expertenkommission weiterentwickelt werden. 

Der Stiftungsrat setzt aus insgesamt 14 Mitgliedern zusammen. Neben den von der Bundesregierung benannten Mitgliedern (jeweils eines auf Vorschlag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sowie zwei Sachverständige) werden vier Mitglieder vom Deutschen Bundestag sowie zwei weitere von den Ländern entsandt. Daneben sind die Präsidentin oder der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum (DHM), der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (HdG), der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die oder der Vorsitzende des Stiftungsbeirats Mitglieder des Stiftungsrats. Am 14. September 2021 kam der Stiftungsrat zu einer konstituierenden Sitzung zusammen, in 2024 konnte erstmals die Förderung konkreter Projekte angegangen werden.

Was sind Orte der Demokratie und der Demokratiegeschichte?

Orte der Demokratie sind für uns physische, symbolische und/oder immaterielle Orte, an denen historische Ereignisse stattfanden oder die für historische Prozesse stehen, bei denen Organisationen, Institutionen, Gruppen und Individuen um die Verwirklichung von Grund- und Menschenrechten, Mitbestimmung, freien Wahlen und Parlamentarismus, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit in Staat und Gesellschaft gerungen haben. Die Orte verweisen auf Personen, Ereignisse, Entwicklungen, Institutionen, die mit einem „mehr“ an Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wie es die Arbeitsgemeinschaft „Orte der Demokratiegeschichte“ treffend ausdrückt, verbunden sind.

Die Bundesstiftung „Orte der Demokratiegeschichte“ fördert „national hervorgehobene und gesamtgesellschaftlich relevante Projekte in Verbindung mit den Orten, die für die Demokratiegeschichte in Deutschland bedeutsam sind. (…) Die Förderung der Bundesstiftung ist grundsätzlich einem für unterschiedliche Sichtweisen offenen Ansatz verpflichtet. Diese Multiperspektivität entspricht dem Selbstverständnis moderner Bildungsarbeit. Sie kann demokratisches Bewusstsein und kritische Meinungsbildung ebenso fördern wie gesellschaftliche Teilhabe. In diesem Zusammenhang dürfen auch problematischen Aspekte der demokratischen Entwicklung nicht ausgeblendet werden.“

Aktuell wird noch in verschiedenen Gremien, Arbeitsgemeinschaften und Gruppen intensiv debattiert, wie eine theoretisch und praktisch sinnvolle, alle Orte der Demokratie und der Demokratiegeschichte inkludierende Definition zukünftig aussehen kann. Wir beteiligen uns sehr gern an diesen Prozessen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Orte der Demokratie und der Demokratiegeschichte als dritte Säule vereinigter bundesdeutscher Erinnerungskultur einen wichtigen Beitrag zur historisch-politischen Bildung beitragen können.

Orte der Demokratiegeschichte in Hessen

Das Land Hessen besitzt keine debattierte, ausgehandelte und abgeschlossene Liste von Orten, Ereignissen und Anlässen, um an Aspekte deutscher Demokratiegeschichte zu erinnern. Wir haben uns bei der Fülle potenzielle Orte in Hessen dazu entschiedenen, zunächst eine ganze Reihe von Orten vorzustellen, die potenziell geeignet wären, Entwicklungen, Höhepunkte und Rückschläge der Demokratiegeschichte in Hessen zu erzählen sowie sichtbar und erlebbar zu machen. Wie aber gehen wir mit Orten der Demokratiegeschichte in Hessen um, die nicht mehr existieren? Wie verhält es sich mit historischen Orten, die durch Krieg und Diktaturen verschwunden sind? Die nachfolgende Auflistung bildet einen ersten Debattenstand innerhalb der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung ab und soll bewusst zur Diskussion anregen.

1. Die Paulskirche in Frankfurt am Main

Die Paulskirche ist die Wiege der deutschen Demokratie. Hier entstand die erste deutsche demokratische Verfassung. Der langjährige Feuilleton-Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und Architekturkritiker Dieter Bartetzko schrieb 1998 über die Frankfurter Paulskirche:

„Das Jahr 1998 rief die „Paulskirche“ als Symbolbegriff für das Jubiläum „150 Jahre Nationalversammlung“ wieder in Erinnerung. Dagegen ist der Bedeutungsgehalt des Bauwerks auch fünfzig Jahre nach dem Aufbau kaum im öffentlichen Bewusstsein. Wenn in diesem Zusammenhang ‚über die Abgründe der Geschichte hinweg‘ die heutige Paulskirche Vergangenes in die Gegenwart und Zukunft trägt, dann in dieser von Rudolf Schwarz und seinen Kollegen geschaffenen Doppelgestalt aus Scheitern und Hoffen. Sie wird umso bedeutender, als mit der Rekonstruktion der Dresdner Frauenkirche, dem ersten gesamtdeutschen Bau nach der Wiedervereinigung, nun ein Denkmal wiederersteht, das sich unwillentlich von jenem Mahnen lossagt, das der Dresdner Torso beschwor und das im torsoartigen Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche bewahrt geblieben ist.“

Dieter Bartetzko: Denkmal für den Aufbau Deutschlands. Die Paulskirche in Frankfurt am Main, Königstein 1998, S. 74.

Die Paulskirche ist Symbolort, Mahnung, Geburtsraum deutscher Parteien, Episodenstätte einer Revolutionsgeschichte, Arena für Großdeutsches und Kleindeutsches, Parlamentsgebäude und Demokratiegrundstein. Sie ist Frankfurt, ist deutsche, österreichische und luxemburgische Geschichte, ist ein Ort der Demokratie und der Demokratiegeschichte für ganz Europa.

Zum Thema „Paulskirche in Frankfurt am Main“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

2. Palais Thurn und Taxis in Frankfurt

Der Deutsche Bund gilt gemeinhin als Vorläufer des Deutschen Reiches. Der Wiener Kongress beschloss die Wiederherstellung der Freien Stadt Frankfurt und bestimmte im Juni 1815 in der Bundesakte das Palais Thurn und Taxis zum Sitz des Bundestages. Dieser war eine Versammlung der 41 Staaten des Deutschen Bundes, kein Parlament mit gewählten Parlamentariern. Für die Nutzung des sogenannten Bundespalais erhielt der Besitzer Fürst Karl Alexander von Thurn und Taxis eine jährliche Miete.

Das Palais wurde 1731 bis 1739 von Robert de Cotte im Auftrag des Reichserbgeneralpostmeisters Fürst Anselm Franz von Thurn und Taxis erbaut. 1748 wurde es Sitz der Hauptverwaltung der von den Thurn und Taxis betriebenen Kaiserlichen Reichspost, von 1805 bis 1813 fungierte es als Residenz des Fürstprimas und Großherzogs von Frankfurt Karl Theodor von Dalber

Der sogenannte Bundestag, offiziell Bundesversammlung genannt, war ein ständiger Gesandtenkongress der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes und dessen einziges Organ. Sein bekanntester Gesandter war Fürst Otto von Bismarck, von 1851 bis 1859 Gesandter Preußens in Frankfurt. Die Beschlüsse des Bundestages waren Bundesrecht. Die Öffentlichkeit war von den Sitzungen ausgeschlossen. Ihr Vorsitzender, der österreichische Gesandte beim Deutschen Bund, hatte seine Privatwohnung im Bundespalais. Nach der Märzrevolution 1848 stellte die Bundesversammlung ihre Arbeit vorerst ein. Stattdessen belegte die am 24. Juni 1848 von der Frankfurter Nationalversammlung eingesetzte Provisorische Reichsregierung für kurze Zeit das Bundespalais. Nach dem Scheitern der Revolution wurden 1849 die früheren Verhältnisse wiederhergestellt. Ende 1850 bezog die Bundesversammlung bis 1866 wieder das Palais

Von 2004 bis 2009 wurde das Palais als Teil des Investitionsprojektes „Palaisquartier“ mit verändertem Grundriss rekonstruiert. 

 

Zum Thema „Wirtschaftlicher Aufbau und Währungsreform nach dem Zweiten Weltkrieg“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

3. Ständehaus in Kassel

Auch in den nach dem Wiener Kongress von 1815 gegründeten fünf Vorgängerstaaten des heutigen Hessen existierten Parlamente. Sie waren teils in langen politischen Kämpfen den Fürstenstaaten dieser Epoche abgetrotzt worden und hatten in keiner Weise vergleichbare Kompetenzen wie unsere heutigen Landtage. Sie waren auch nicht unmittelbar und frei gewählt. Doch auch sie zählen zu den parlamentarischen Wurzeln unserer Demokratie. Besonders in der Zeit des Vormärz und der 1848er-Revolution, aber auch in den Jahren nach dem Scheitern der Revolution, wirkten hier politische Kräfte, die an Veränderungen hin zu mehr Parlamentarismus, Grund- und Freiheitsrechten festhielten.

Das Ständehaus, ein 1834-36 nach den Plänen Julius Eugen Ruhls in Kassel erbauter früher Neorenaissancebau, diente ursprünglich den kurhessischen Landständen als Tagungsort. Das Ständehaus ist heute Sitz des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen.

Nach der Wiederherstellung des Kurfürstentums Hessen wurden die Landstände seit 1816 nicht mehr einberufen. Die Revolution von 1830 brach in Kurhessen mit großer Heftigkeit aus. Kurfürst Wilhelm II sah sich nach einer Massenpetition veranlasst, die Landstände neu einzuberufen. Diese beschlossen am 5. Januar 1831 eine neue, für damalige Verhältnisse besonders fortschrittliche Verfassung mit einem Einkammerparlament, einem Verfassungseid und der Möglichkeit einer Ministeranklage, einem Vorläufer der parlamentarischen Verantwortlichkeit der vom Monarchen ernannten Minister. Bis zum Ende des Kurfürstentums und dem Aufgehen Kurhessens im Königreich Preußen im Jahre 1866 behielt das Ständehaus seine Funktion als kurhessisches Parlamentsgebäude.

Zum Thema „Ständehaus in Kassel“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

4. Ein verschwundener Ort der Demokratiegeschichte

Das Denkmal für August Metz in Darmstadt

Der langjährige Darmstädter Landtagsabgeordnete August Metz (1818-1874) war ein (national)liberaler Parlamentarier, der sich um die Etablierung von Freiheits- und Grundrechten in Hessen verdient gemacht hat. In der Revolution von 1848 gehörte Metz zu den Demokraten des „Märzvereins“ in Darmstadt, von 1850 bis 1856 und von 1862 bis zu seinem Tod war er Mitglied der Zweiten Kammer (Ständekammer) des Landtags des Großherzogtums Hessen. Der Jurist, Journalist und wortgewandte Redner trat vielfach als Verteidiger in politisch motivierten Strafprozessen auf. Sein Hauptanliegen war es, Freiheit, Verfassungsmäßigkeit und Recht gegen den monarchistischen Staat durchzusetzen – in Hessen gründete er die sog. Fortschrittspartei. August Metz gehörte auch zu den glühenden Verfechtern der deutschen Einheit und forderte unablässig die Überführung der deutschen Einzelstaaten in einen deutschen Nationalstaat. Metz wirkte bis zu seinem frühen Tod im Februar 1874 zudem ab 1868 im Norddeutschen Reichstag und im sog. Zollparlament sowie ab 1871, nach der Gründung des Deutschen (Kaiser-)Reiches, im Reichstag.

1879 errichtete man ihm als „Kämpfer für Deutschlands Einheit, für Recht und Freiheit“ auf dem Darmstädter Johannesplatz vor der Johanneskirche ein Denkmal. Dieses wurde 1940 von den Nationalsozialisten zerstört, da es nun als ein „Judendenkmal“ galt. Metz selbst war katholisch, sein Vater war ursprünglich jüdisch gewesen, dann aber zum Katholizismus konvertiert. Heute erinnert noch eine Gedenktafel an Metz auf dem Darmstädter Johannesplatz.

Zum Thema „August Metz und Parlamentarismus im 19. Jahrhundert“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

5. Spuren Ludwig Börnes in Frankfurt

(Verlorene) Orte des Emanzipations- und Freiheitswillens, aber auch der Diskriminierung und Verfolgung

Ein bedeutender Vorkämpfer für Recht, Freiheit und Gleichberechtigung nach 1815 und im „Vormärz“ der 1830er Jahre war der Frankfurter Schriftsteller und Journalist Ludwig Börne (1786-1837). Geboren wurde er im Haus zum Rost in der Frankfurter Judengasse Nr. 118 als „Juda Löb Baruch“ im Jahr 1786. Die Judengasse war das jüdische Ghetto in Frankfurt, in dem die Juden der Stadt seit 1462 unter extrem beengten Verhältnissen leben mussten. Dieser Ghettozwang wurde erst wenige Jahre nach Börnes Geburt aufgehoben.

Da Juden in diesen Zeiten, von temporären Ausnahmen abgesehen, weitgehend entrechtet und in der Berufswahl eingeschränkt waren, konvertierte Börne 1818 zum Protestantismus, um das von ihm gewünschte Fach studieren zu können, zuletzt Jura u.a. in Gießen. Als Literat und Journalist in Frankfurt trat er für Freiheits- und Grundrechte, immer wieder aber auch für die Gleichberechtigung und Emanzipation der Juden ein. Er gehörte u.a. mit literarischen Größen wie Heinrich Heine der Bewegung des „Jungen Deutschland“ an, welche auf die Demokratisierung als Voraussetzung der Freiheit abzielte.  Als Autor und Herausgeber kritischer Zeitschriften in Frankfurt unterlag Börne vielfach der Zensur, wurde 1820 auch inhaftiert und ging, nicht zuletzt die Verfolgung aus politischen Gründen fürchtend, ab 1830 nach Paris, wo er schließlich 1837 verstarb. Dort ist er auch beerdigt.

Sein Geburtshaus in der Judengasse war noch in den 1860er/70er Jahren eine Sehenswürdigkeit für Verehrerinnen und Verehrer des berühmten Sohns der Stadt, wurde aber 1879 von der Stadt Frankfurt zum Abbruch freigegeben. Proteste aus der Frankfurter Bürgerschaft dagegen verhallten und das Haus wurde abgerissen. Die Judengasse wurde 1885 in Börnestraße umbenannt und der ehem. Judenmarkt Börneplatz. Beides wurde wiederum in der Zeit der NS-Diktatur in Großer Wollgraben und Dominikanerplatz umbenannt. Nach der fast völligen Zerstörung Frankfurts im Zweiten Weltkrieg ist das gesamte Areal des ehemaligen Judenviertels heute nicht mehr in der früheren Kubatur erkennbar. Auch der Standort des Geburtshauses Börnes ist längst anderweitig bebaut.

1877 errichtete man Börne zu Ehren ein aufwändig gestaltetes Denkmal mit Büste in der Bockenheimer Anlage. Dieses wurde 1931 von Nationalsozialisten fast völlig zerstört. Erst 1958 wollte die Stadt das Denkmal wiedererrichten, jedoch war die Büste nicht mehr auffindbar. Daher wurde eine Gedenkplatte mit Portrait durch den Frankfurter Bildhauer Georg Mahr erstellt und 1960 am selben Ort eingeweiht.

Trotz der teils verloren gegangenen Orte ist Börne in Frankfurt nicht vergessen. Neben der Gedenkplatte gibt es nach ihm benannte Plätze und überdies erinnert das Museum Judengasse insgesamt an die hiesigen Spuren jüdischen Lebens in der Stadt. Als Orte der Demokratie sind die Spuren Ludwig Börnes in Frankfurt ambivalent. Sie stehen nicht für den Erfolg der Demokratieentwicklung, aber für den Willen, demokratische Prozesse voranzutreiben.

Zum Thema „Ludwig Börne und jüdische Geschichte im 19. Jahrhundert in Hessen“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

6. Lachend der Demokratie entgegen: Friedrich Stoltze-Brunnen in Frankfurt am Main

„Hängen soll der Herr von Bismarck“, publizierte Frankfurts unumstrittenes Mundart-Original und unübertroffener Humorist Friedrich Stoltze anno 1863, um dann nach einer beinahe hörbaren Pause die strafverschonende Gedichtzeile nachzuschieben: „.... sehr an seinem Herrn und König.“

Kaum ein Demokrat in Frankfurt und Hessen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert hat so gekonnt provokativ, humorvoll und zugleich beharrlich mit dem Obrigkeitsstaat jener Jahre Katz und Maus gespielt wie Friedrich Stoltze (1816-1891). Der Ur-Frankfurter war schon als Jugendlicher an der Seite des Vaters auf dem berühmtesten Freiheitsfest des Vormärz, dem Hambacher Fest von 1832, gewesen und seither unumstößlich im liberalen Geiste unterwegs. An der Revolution von 1848 in Frankfurt nahm der Freigeist regen publizistischen Anteil, doch seine große Zeit schlug eigentlich später, nach dem Scheitern der Revolution und der Wiederkehr des monarchischen Obrigkeitsstaates. Als dann seine stets mit Stolz frei und selbständig gewesene Heimatstadt Frankfurt nach dem Krieg von 1866 noch preußisch wurde, galt Preußen Stoltze mehr denn je als der Inbegriff der Unfreiheit. Nicht zuletzt galt ihm auch Preußens Staatenlenker Bismarck als Freiheitsfeind, mit dem ihn eine nachhaltige Intimfeindschaft verband. Neben seinem Œuvre als Schriftsteller und Mundartdichter legte Stoltze als Demokrat vor allem Spuren in den von ihm herausgegeben satirischen Zeitschriften. Demokratisch getränkte Satire mit Tiefgang, manchmal beißend in der Kritik. Sein Hauptwerk war die „Frankfurter Latern“ mit den ausladenden Abbildungen und den kritischen Untertiteln. Die „Frankfurter Latern“ hielt sich trotz Zensur, Verboten, notgedrungenem Ausweichen ins deutsche „Ausland“ und anderen Finten von 1860 bis 1893. Das lange Einsitzen im Zuchthaus blieb Stoltze zwar erspart, doch bei den Frankfurter Gerichtshöfen hatte er anlässlich unzähliger Prozesse wegen „Pressevergehen“ einen Nebenwohnsitz. Beugen ließ er sich nie. Wohlmöglich sickerte auch seine demokratische Gesinnung Stück für Stück in das Bewusstsein der Menschen, die ihn für seine Schriften liebten.

„Du hervor aus allen strahle, Freiheit! meine höchste Lust! Für dich ewig will ich zeugen, Der Gewalt in’s Angesicht; Meinen Menschenstolz zu beugen, Selbst ein Gott vermag es nicht.“

Frankfurter Latern, 1. Januar 1886

Ihm zu Ehren wurde 1892 auf dem Frankfurter Hühnermarkt – im Herzen der heutigen „Neuen Frankfurter Altstadt“ – ein Denkmal in Form eines Brunnes mit Büste und plastischen Kostproben des Stoltze-Humors errichtet. Es steht (nun wieder) in der Nähe zu Stoltzes Geburtshaus „Zum Rebstock“. Sowohl der Brunnen als auch das Geburtshaus wurden im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges zerstört, dann wiederaufgebaut. Stoltze-Orte gäbe es in Frankfurt im Übrigen viele: der Umtriebige zog in seiner Stadt über zwanzigmal um. Dem Sohn der Stadt gebührt heute überdies ein eigenes Museum.

Stoltze war weder Parlamentarier noch staatsphilosophischer Vordenker. Sein Wirken in Frankfurt und Hessen war gewissermaßen die breitenwirksame Demokratiewerbung mit Witz, beißender Kritik und wider den Ernst einer Zeit, in der es für Freiheit und Demokratie recht wenig zu lachen gab. Frei nach dem Motto: Steter Humor höhlt (auch und besonders) den Stein.

Zum Thema „Friedrich Stoltze-Brunnen“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

7. Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau

Geburtshaus eines hessischen Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers

Georg Büchner – ein Ausnahmetalent seiner Zeit, das viel zu früh starb. Büchner lebte die ersten zwei Jahre seines Lebens mit seiner Familie in dem 1665 gebauten Fachwerkgebäude, das heute unter dem Namen „Büchnerhaus“ ein international renommiertes Kulturzentrum beherbergt. In Büchners Geburtshaus befindet sich im Erdgeschoss die 1998 eröffnete Dauerausstellung „Von Goddelau zur Weltbühne“. In der Dauerausstellung wird anhand von Rauminszenierungen das kurze, aber dennoch sehr bewegte Leben des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers mit Hilfe von Gegenständen, Bildern und Zitaten erzählt.

Georg Büchner wurde 1813 in Goddelau geboren. Seine Eltern, Ernst und Caroline Büchner, geb. Reuß, lebten aufgrund einer lukrativen Anstellung des Vaters in dem südhessischen Dorf. Büchners Vater arbeitete als Arzt am Hofheimer Spital. 1817 zog die Familie nach Darmstadt, wo Georg Büchner seine Kindheit und Jugend verbringen sollte. 1831 ging Georg Büchner nach Straßburg, um Medizin und Naturwissenschaften zu studieren. 1833 wechselte er an die Universität Gießen. Büchner verfasste und konzipierte gemeinsam mit Friedrich Ludwig Weidig 1834 die Flugschrift „Der Hessische Landbote“ und gründet eine revolutionäre Geheimorganisation. Im Januar 1835 stellt er das Revolutionsdrama „Dantons Tod“ fertig. Aufgrund seiner politischen Betätigung wurde er steckbrieflich gesucht und verfolgt. Büchner floh deshalb im März 1835 nach Straßburg.

Im Exil arbeitete Georg Büchner fieberhaft Tag und Nacht an seinen Studien und literarischen Texten. Zentrale Motive aller seiner literarischen Texte sind die Revolution und die Emanzipationsbemühungen von Menschen, die unter den repressiven Machtstrukturen ihres Alltages zu leiden haben. In weniger als zwei Jahren entstehen neben seiner naturwissenschaftlichen Dissertation die Erzählung „Lenz“, das Lustspiel „Leonce und Lena“ und das Drama „Woyzeck“. Bereits am 19. Februar 1837 stirbt Büchner in Zürich an Typhus.

Mit Ausnahme des „Hessischen Landboten“ und „Dantons Tod“ erlebte Georg Büchner die Veröffentlichung seiner Texte nicht mehr. Einem größeren Publikum wurde er erst Jahrzehnte nach seinem Tod bekannt. Heute sind die Werke Büchners fester Bestandteil des literarischen Schulkanons und werden in deutschsprachigen Schauspielhäusern häufig aufgeführt. lm Jahr 1923 wurde der Georg-Büchner-Preis zur Förderung hessischer Künstlerinnen und Künstler ins Leben gerufen. Er ist heute der wichtigste Literaturpreis für Autorinnen und Autoren im deutschsprachigen Raum.

Das Geburtshaus Georg Büchners ist der letzte authentische Erinnerungsort in Deutschland, der an das Leben des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers erinnert. Das 1665 erbaute Fachwerkhaus befindet sich heute im Eigentum der Stadt Riedstadt. Dank des Engagements zahlreicher Privatleute und Unternehmen konnte das Büchnerhaus vor dem Verfall gerettet werden. Bis zum heutigen Andenken an das Leben Büchners und der Erhaltung und Weiterführung des kulturellen Erbes des Ausnahmetalents war es jedoch ein weiter Weg. Träger des Büchnerhauses ist mittlerweile der Verein BüchnerFindetStatt e.V.

Zum Thema „Büchnerhaus“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

8. Stadtschloss Wiesbaden – Vom herzoglichen Schloss zum Hessen-Parlament

Der heutige Sitz des Hessischen Landtags war einst eine Fürstenresidenz. Als 1806 von Napoleons Gnaden das Herzogtum Nassau gegründet und Wiesbaden zur Hauptstadt des aus den bisherigen nassauischen Fürstentümern geformten Staates erkoren wurde, musste ein repräsentativer Regierungssitz her. Die bestehende, am Rheinufer malerisch gelegene Sommerresidenz, das Biebricher Schloss, erschien zu weit vom Stadtzentrum entfernt, so dass die Wahl auf den Marktplatz fiel. Die offizielle Begründung für die Wahl des Marktplatzes war, dass der Herzog Bürgernähe suchte und diese nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten demonstrieren wollte. An der Nordseite des Platzes wurden mehrere Gebäude erworben, darunter das noch existente, 1826 erbaute Kavaliershaus. Die Planungen für das Herzogliche Haus am Markt, wie das Schloss zunächst hieß, wurden an den bekannten Oberbaudirektor Georg Moller aus Darmstadt vergeben. Dieser hatte sich bereits in der Umgebung einen Namen gemacht.

Während der Märzrevolution 1848 kam es vor dem Herzoglichen Schoss zu einem Volksaufstand. Am 4. März 1848 versammelte sich eine bis dato nicht für möglich gehaltene Menge von 30.000 aufgebrachten Bürgerinnen und Bürger auf dem Marktplatz. Die gestellten „Neun Forderungen der Nassauer“, u.a. die Punkte Pressefreiheit, Vereinsrecht, öffentliche Gerichtsverfahren, Versammlungsfreiheit etc., sollten durch die Demonstration durchgesetzt und die Republik ausgerufen werden. Der Herzog versprach, die Forderungen zu erfüllen, nahm aber Teile dieses Versprechens nach und nach wieder zurück.

Im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 schlug sich Nassau zusammen mit Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Bayern, Hannover, Sachsen und anderen auf die Seite der Österreicher. Nachdem der preußische Sieg durch den Prager Friedensvertrag besiegelt war, wurde Nassau annektiert und Herzog Adolf abgesetzt. Nach der Absetzung des Herzogs war das Schloss seiner Funktion als nassauische Residenz beraubt. Die preußischen Könige, welche nun Eigentümer waren, erkannten den Wert der Immobilie in zentraler Lage der aufstrebenden und eleganten Kurstadt. Sie nutzten die Räumlichkeiten fortan bei ihren Aufenthalten in Wiesbaden, um mit ihrem Hofstaat hier zu residieren. Wilhelm I., seit 1861 König von Preußen und ab 1871 deutscher Kaiser, verweilte mehrmals im Schloss. Sein Enkel, Kaiser Wilhelm II., machte Wiesbaden und das Stadtschloss schließlich zu seiner regelmäßigen „Mai-Residenz“. Zusammen mit seinen Bediensteten und seinen engsten Familienmitgliedern war er mehrmals im Jahr zu Gast in Wiesbaden. Er förderte aktiv das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Wiesbaden. Die Stadt erlebte in dieser Zeit einen großen Aufschwung, wurde zur „Kaiserstadt“ und hatte um die Jahrhundertwende die meisten Millionäre Deutschlands.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914, spätestens aber mit dem Ende des Kaiserreichs 1918, war Wiesbadens große Zeit als Weltkurstadt vorbei. Das Schloss hatte als repräsentative Residenz ausgedient. Nach der Novemberrevolution erfuhr das Schloss unterschiedliche Nutzungen. Zunächst zog 1918 der Arbeiter- und Soldatenrat ein. Später war es Verwaltungsgebäude des französischen Oberkommandos und ab 1925 der britischen Armee. Nach Abzug der Besatzungstruppen kam das Schloss 1930 in Besitz der Preußischen Staatlichen Schlösserverwaltung und wurde zu einem Museum.

Während des Zweiten Weltkrieges nahm das Generalkommando der Wehrmacht das Gebäude in Besitz. Obwohl das Schloss durch den Luftangriff vom 2. Februar 1945 beschädigt wurde, überstand es zum Großteil unbeschadet den Kriegsverlauf. Der verursachte Schaden wurde später nicht fachgerecht repariert, so dass unbemerkt Feuchtigkeit eindringen und der Hausschwamm sich ausbreiten konnte, was erst 2008 entdeckt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zog in das teilweise zerstörte Schloss zunächst das Alliierte Oberkommando ein. Nachdem Wiesbaden 1946 Hauptstadt des neuen noch „Groß-Hessen“ genannten Landes wurde, wurde das Schloss zum Sitz des Hessischen Landtags erklärt. Am 1. Dezember 1946 tagte hier erstmals der neu zusammengetretene Landtag. Zunächst debattierten die Mitglieder des Hessischen Landtags im größten Raum des Hauses, dem Musiksaal. In den Jahren 1960 bis 1962 wurde die ehemalige Reithalle im Innenhof abgerissen und an ihrer Stelle ein neuer Plenarsaal errichtet. Dieser wurde wiederum ab 2004 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, was das Schloss für ca. vier Jahre in eine Großbaustelle verwandelte. Der Landtag tagte zwischenzeitlich im gegenüberliegenden Wiesbadener Neuen Rathaus. Am 4. April 2008 konnte der Plenarsaal wieder an seinen angestammten Platz im Innenhof des Schlosses dem Parlament übergeben werden. Heute bilden die historischen Räume des Schlosses den repräsentativen Rahmen für offizielle Empfänge sowie für sonstige Anlässe. Der Musiksaal wird auch für öffentliche Konzerte und Veranstaltungen genutzt. In den kleineren Zimmern des Schlosses, die mit ihrer Ausstattung, dem Mobiliar und Gemälden noch an die herzogliche Zeit erinnern, findet heute parlamentarische Arbeit statt.

Zum Thema „Stadtschloss und Hessischer Landtag“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

9. Gasthof „Zum halben Monde“ in Heppenheim (Bergstraße)

Kleiner Ort, große (liberale) Demokratiegeschichte

Die in Südhessen am Rande des Odenwalds gelegene Kreisstadt Heppenheim gehört dem Kreis Bergstraße an. Im Jahr 1318 erhielt sie das Stadtrecht. Am 10. Oktober 1847 trafen sich 18 führende süd- und westdeutsche Liberale dort im Gasthof „Zum halben Monde“, um vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Urbanisierung über die prekären politischen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsteile im 1815 geschaffenen Deutschen Bund zu debattieren.  Im Rahmen dieses als „Heppenheimer Versammlung“ oder „Heppenheimer Tagung“ bezeichneten Zusammentreffens definierten die Politiker Pressefreiheit, Volkssouveränität, Verfassungsstaatlichkeit und die Garantie von Bürgerrechten als essentielle Forderungen, die in den Kontext der sich nach den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Hegemonialmacht Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts formierenden nationalliberalen Bewegung im deutschsprachigen Raum einzuordnen sind. Heppenheim als Ort der Demokratiegeschichte ist in dreierlei Hinsicht relevant:

Erstens ist die „Heppenheimer Versammlung“ als entscheidende Station der Bündelung bürgerlich-liberaler Kräfte im Vorfeld der Märzrevolution von 1848/1849 zu sehen. Ihre politischen Leitlinien wurden essentieller Teil des Forderungskatalogs der Parlamentarier in der Frankfurter Paulskirche. Gleichzeitig ist neben dem ideengeschichtlichen Zusammenhang die personelle Verknüpfung zwischen Heppenheim und der Paulskirche hervorzuheben.  Der Großteil der in Heppenheim Anwesenden agierte während der Revolution als Abgeordnete im Vorparlament und der Paulskirche. Das wohl prominenteste Beispiel für diesen personellen Zusammenhang bietet Heinrich von Gagern, späterer Präsident der Frankfurter Nationalversammlung. Trotz des gesamteuropäischen Scheiterns der Revolution von 1848/1849 (mit Ausnahme der Schweiz) prägte das liberal-demokratische Erbe des Vormärz die deutsche Nationalstaatsgeschichte maßgeblich.

Zweitens publizierten die Politiker ihre Diskussionsergebnisse nach Beendigung der Tagung trotz Zensur und Repression im Metternich´schen Überwachungsstaat in der „Deutschen Zeitung“ vom 15. Oktober 1847, was ein absolutes Novum darstellte. In diesem Zusammenhang ist der Einsatz der teilnehmenden Liberalen für die Pressefreiheit als elementaren Pfeiler funktionierender moderner Demokratien anzuerkennen. Heppenheim kann also aus heutiger Perspektive auch als Symbol für Wertschätzung und Einsatz für die Bewahrung und Verteidigung dieses kostbaren Gutes gelten.

Zuletzt muss der im Rahmen der „Heppenheimer Versammlung“ geführte offene Diskurs und die kritische Auseinandersetzung mit staatlichen Maßnahmen und politischen Verhältnissen als Beispiel der Anfänge einer gesellschaftlichen Debatten- und Diskurskultur gelten, die den Kern unserer heutigen parlamentarischen Demokratie ausmacht.

Auch hier ist festzuhalten, dass Zensur, Denunziation und Unterdrückung im „System Metternich“ als mahnendes Exempel für den langen Kampf zu erfassen sind, der in der Vergangenheit um Meinungs- und Pressefreiheit geführt wurde, die heute die unabdingbare Basis unseres demokratischen Systems bilden.

Mit Blick auf das traditionsreiche liberale Erbe der „Heppenheimer Versammlung“ wählten die liberalen Parteien der drei westlichen Besatzungszonen Heppenheim rund 100 Jahre später als Ort des am 11. Dezember 1948 abgehaltenen Gründungsparteitags der FDP. Der mit gotischen Wandmalereien verzierte Kurfürstensaal und die Winzerstube im Kelterhaus wurden damit die Schauplätze der Parteigründung, in deren Rahmen mit Theodor Heuss eine der schillerndsten Figuren der Gründungsphase der Bundesrepublik zum ersten Parteivorsitzenden gewählt wurde. Noch heute erinnert eine Bronzetafel an diese Wahl.

Der Kurmainzer Amtshof gehört zu den Kulturdenkmälern in Hessen. Die Gebäude werden überwiegend durch die Winzergenossenschaft und eine Gaststätte genutzt, doch auch die Stadt Heppenheim veranstaltet hier Empfänge und Sitzungen des Stadtparlaments. Ebenfalls im Amtshof ist das Stadtmuseum untergebracht, in dem auch Exponate von der Gründung der FDP betrachtet werden können.

Zum Thema „Heppenheimer Versammlung“ können bei der Hessischen Landeszent-rale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

10. Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim am Rhein

Schauplatz der Niederwaldkonferenz 1948

Das 1764 im Auftrag von Graf Johann von Ostein errichtete Jagdschloss Niederwald liegt bei Rüdesheim am Rhein im Rheingau-Taunus-Kreis. 1948 fand dort in drei Sitzungsperioden die Niederwaldkonferenz statt, an der elf westdeutsche Ministerpräsidenten teilnahmen und über den westalliierten Gründungsauftrag eines deutschen Nachkriegsstaates auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen diskutierten, der in den „Frankfurter Dokumenten“ vom 1. Juli 1948 enthalten war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die vier Siegermächte Großbritannien, Frankreich, USA und Sowjetunion das Territorium des ehemaligen Deutschen Reiches unter sich auf und setzten mit der Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 den Alliierten Kontrollrat als oberste, interalliierte Besatzungsbehörde ein. Im Kontext der Herausbildung und zunehmenden Konfrontation zwischen den antagonistischen Machtblöcken um die USA im Westen und die Sowjetunion im Osten im beginnenden Kalten Krieg scheiterte die alliierte Viermächtepolitik in Bezug auf Deutschland jedoch. Auf der Londoner Sechsmächtekonferenz vom 23. Februar bis zum 2. Juni 1948, an der die drei Westalliierten und die Benelux-Staaten als westliche Nachbarn Deutschlands teilnahmen, definierten jene Staaten das anglo-amerikanische Konzept der Gründung eines vereinten Weststaats unter Ausschluss der sowjetischen Besatzungszone als gemeinsame Leitlinie ihrer Deutschlandpolitik.

Basierend auf den dort entstandenen „Londoner Empfehlungen“ überreichten die westalliierten Militärgouverneure den Ministerpräsidenten ihrer Besatzungszonen am 1. Juli 1948 die dreiteiligen „Frankfurter Dokumente“. Sie forderten die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung sowie die Überprüfung der Ländergrenzen und kündigten zuletzt ein Besatzungsstatut an, das den Westalliierten die Mitsprache in bestimmten, als kritisch angesehenen Ressorts künftiger deutscher Politik sichern sollte. Erstmals berieten die Ministerpräsidenten auf der Rittersturz-Konferenz, die vom 8. bis 10. Juli 1948 im Hotel „Rittersturz“ in Koblenz stattfand, über die Inhalte der „Frankfurter Dokumente“. In einer Antwortnote an die Militärgouverneure, den „Koblenzer Beschlüssen“, betonten sie ihren Konsens darüber, dass die Teilung zwischen den westlichen und der sowjetischen Besatzungszone mittelfristig verhindert werden müsse. Dementsprechend könne lediglich über die Gründung eines provisorischen Staates mit Besatzungs- und Organisationsstaut in Form eines sogenannten „Grundgesetzes“ verhandelt werden. Diese Beschlüsse bildeten die Verhandlungs- und Diskussionsgrundlage der Niederwaldkonferenz.

Im Rahmen der ersten Sitzung am 15. und 16. Juli unterrichteten sich die Ministerpräsidenten gegenseitig über die Reaktionen der Militärgouverneure auf die „Koblenzer Beschlüsse“. Während der zweiten Sitzung, die am 21. und 22. Juli im „Grünen Salon“ des Jagdschlosses stattfand, näherten sich die Ministerpräsidenten inhaltlich an die in den „Frankfurter Dokumenten“ enthaltenen Vorstellungen der Westalliierten an, ohne jedoch von der auf der Rittersturz-Konferenz festgelegten Terminologie von „Parlamentarischem Rat“ und „Grundgesetz“ anstelle von „Verfassungsgebender Versammlung“ bzw. „Verfassung“ abzuweichen. Treibende Kraft hinter diesem Wandel war Ernst Reuter (SPD). Der Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin, deren Lebensfähigkeit zu dieser Zeit von der totalen Sperre des Personen- und Güterverkehrs nach Westberlin durch die Sowjetunion bedroht war, sah in Gründung und Konsolidierung des Weststaates die entscheidende Voraussetzung für die langfristige Wiederherstellung eines geeinten „Mutterlandes“. Die Stellungnahme, die diese Position bekräftigte, wurde am 26. Juli in Frankfurt mit den westalliierten Militärgouverneuren beraten.

Im Anschluss an dieses Treffen wurde mit der in den „Frankfurter Dokumenten“ festgesetzten Organisation der Westzonen unter Beibehaltung der von den Ministerpräsidenten favorisierten Terminologie als Ausdruck des provisorischen Charakters des Nachkriegsstaates begonnen. Die Landtage bereiteten die Entsendung von Vertretern in den Parlamentarischen Rat vor, der spätestens am 1. September erstmals zusammentreten sollte. Die letzte Etappe der Niederwaldkonferenz bildeten die Beratungen über die Neugliederung der Länder am 31. August 1948, durch die die westdeutschen Bundesländer in ihren heutigen Grenzen geschaffen wurden.

Das Jagdschloss Niederwald ist als Ort, an dem die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen den Gründungsauftrag eines westdeutschen Nachkriegsstaats inhaltlich akzeptierten und die Wahrnehmung dieses Staates im In- und Ausland vor dem Hintergrund der Durchsetzung einer den provisorischen Charakter jenes Staates unterstreichenden Terminologie maßgeblich prägten, von besonderer Bedeutung für die bundesrepublikanische Nachkriegs- und Verfassungsgeschichte. Der zwischen den Ministerpräsidenten und mit den westalliierten Militärgouverneuren geführte Diskurs über die Ausgestaltung jenes westdeutschen Nachkriegsstaates legte nur gut drei Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands den Grundstein für eine demokratische Debattenkultur, auf der unsere Demokratie noch heute fußt. Gleichzeitig wurden im Jagschloss Niederwald durch die Annahme der westalliierten Forderung, einen Weststaat unter Ausschluss der SBZ zu gründen, die Weichen für die Teilung Deutschlands gestellt, die die deutsche Nationalstaatsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts determinierte. In Westdeutschland entwickelte sich ein stabiler, prosperierender, demokratischer Staat, der für unsere politische und persönliche Lebensrealität auch heute maßgeblich ist.

11. Das I.G. Farben-Haus / Poelzig-Bau

Täterort, Ort der Besatzung und Demokratieort

Ein weiterer wichtiger Ort der Demokratiegeschichte in Hessen hat eine entschieden undemokratische Vorgeschichte. In der Form eines riesigen, gleichsam optisch faszinierenden ehemaligen Verwaltungssitz in Frankfurt am Main ist das Gebäude die sichtbarste Hinterlassenschaft der 1925 gegründeten Interessensgemeinschaft (I.G.) Farbenindustrie AG. Heute ist das Unternehmen auf das engste mit den in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Kriegsverbrechen assoziiert. Die I.G. expandierte durch die gezielte „Arisierung“ vormals jüdischer Konkurrenzunternehmen, beutete als Rüstungsunternehmen eine große Zahl an Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aus und errichtete mit dem Konzentrationslager Auschwitz III Monowitz das erste privat finanzierte Konzentrationslager. Das vom Architekten Hans Poelzig entworfene moderne Bürogebäude wurde Ende März 1945 von US-Truppen besetzt und aufgrund des unbeschädigten Zustands umgehend umgewidmet.

Aus einem Täterort wurde quasi über Nacht Hessens wichtigster Demokratieort, lässt man die Paulskirche beiseite. Denn das Gebäude fungierte bis Juli 1945 unter General Dwight D. Eisenhower, dem späteren US-Präsidenten, als Hauptquartier der alliierten Expeditionstruppen (SHAEF) und in der Folge als US-Hauptquartier (USFET) für Europa. Im noch vorhandenen Büro Eisenhowers wurden wichtige Wegmarken im Prozess der Demokratisierung der Westzonen gelegt: Mit Eisenhowers Unterschrift 1945 unter der „Proklamation Nr. 2“ der US-Militärregierung, mit der die preußische Provinz Hessen-Nassau mit dem rechtsrheinischen Hauptteil des früheren Volksstaates Hessen unter dem provisorischen Namen Groß-Hessen vereinigt wurden, wurde der Grundstein für das heutige Hessen gelegt. Auch kam es im I.G. Farben-Bau zum Startschuss für die Erarbeitung des Grundgesetzes, denn am 1. Juli 1948 erhielten hier die elf Ministerpräsidenten der Westzonen-Länder im Beisein der drei alliierten Militärgouverneure mit den Frankfurter Dokumenten den Auftrag, das Grundgesetz zu debattieren und auszuformulieren. Nur wenig davor, am 20. Juni 1948, war im Poelzig-Bau die neue (west-)deutsche Währung, die Deutsche Mark, verkündet worden.

Zum Thema „I.G. Farben-Haus / Poelzig-Bau“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

12. Das ehemalige Notaufnahmelager in Gießen

Das „Tor zur Freiheit“ als Ort der Demokratie und der Diktaturaufarbeitung

Das ehemalige Notaufnahmelager (bzw. bis zuletzt Hessische Erstaufnahmeeinrichtung, HEAE) am Meisenbornweg in Gießen ist ein authentischer historischer Ort deutsch-deutscher, aber auch internationaler Demokratiegeschichte von nationaler Bedeutung. Es ist deutschlandweit die älteste und einzige seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu ihrer Schließung am 30. September 2018 ununterbrochen arbeitende Aufnahmeeinrichtung für Geflüchtete, Aussiedlerinnen und -aussiedler und Vertriebene. Insbesondere für die deutsch-deutsche Geschichte hat das Lager eine herausragende Bedeutung: Bis 1989 entwickelte sich der Ort zur zentralen Aufnahmestelle für rd. 900.000 Geflüchtete und Übersiedler aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. Hier kamen fast alle der 33.000 durch die Bundesrepublik freigekauften politischen Häftlinge aus der DDR im Westen an.

So steht das ehemalige Notaufnahmelager Gießen exemplarisch für den Wunsch von Menschen, in demokratischen Ordnungen und frei zu leben. Für die hier Ankommenden aus allen Zeitabschnitten der langen Existenz des Lagers begannen in Gießen, in der Mitte Hessens, häufig die ersten Schritte eines Lebens mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien. Somit ist dieser Ort auch ein positiver Ort der Demokratiegeschichte.

Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung errichtet auf dem Gelände des ehemaligen Notaufnahmelagers in Gießen einen Lern- und Erinnerungsort, um an die Flucht- und Übersiedlungserfahrungen von Flüchtenden, Vertriebenen, freigekauften politischen Häftlingen und Spätaussiedlerinnen und -aussiedler zu erinnern. Im Mittelpunkt der neuen Gedenkstätte stehen die Erlebnisse der Angekommenen, präsentiert in Form einer Dauerausstellung am historischen Ort. Der über ein umfängliches Raumprogramm verfügende Lern- und Erinnerungsort soll sich durch ein reichhaltiges pädagogisches Angebot positionieren. Es entsteht somit aktuell ein neuer Träger der historisch-politischen Bildungsarbeit in Hessen unter dem Dach der Landeszentrale für politische Bildung, der sich schwerpunktmäßig der Aufarbeitung der SED-Diktatur aber auch der positiven Demokratiegeschichte und des „Demokratielernens“ widmen wird.

Eine Projektseite zum entstehenden Lern- und Erinnerungsort befindet sich im Aufbau. Im Sommer 2025 soll der Lern- und Erinnerungsort ehemaliges Notaufnahmelager eröffnet werden.

13. Wirtschaftlicher Aufbau und Währungsreform nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland

Der Wirtschaftsrat in Frankfurt am Main, das Konklave von Rothwesten bei Fuldatal und die Sonderstelle Geld und Kredit in Bad Homburg

Wie gefährlich wirtschaftliche Krisen, Inflation und Armut für Demokratien sein können, hatte nicht nur das Scheitern der Weimarer Republik gezeigt. Der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas zur Sicherung des Friedens und als wichtiger Ort des internationalen Handels war ein Kernanliegen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, auch Wirtschaftsrat der Bizone genannt, war eine Institution in den Westzonen des besetzten Nachkriegsdeutschlands. Der Rat tagte im Westflügel der Frankfurter Börse. Die US-amerikanischen Besatzer drängten darauf, so schnell wie möglich nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland eine eigene Verwaltung aufzubauen. Die Verwaltungskosten ihrer Besatzungszone waren immens. Erst der Zusammenschluss zur Bizone am 1. Januar 1947 leitete den strukturellen Fortschritt ein, um nötige wirtschaftliche Synergieeffekte auch umsetzen zu können.

Eine parlamentarisch untermauerte gemeinsame Wirtschaftsverwaltung sollte entstehen. Dadurch sollte die Wirksamkeit der Verwaltung verbessert werden. Erste Aufgabe des Wirtschaftsrates war es, zuerst die strukturellen Unterschiede zwischen der US-Besatzungszone, die föderal organisiert war, und der Britischen Besatzungszone, die zentral organisiert war, zu beseitigen. Der Wirtschaftsrat stellte wesentliche Weichen für den erfolgreichen Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft.

Innerhalb von 49 Tagen im Frühjahr 1948 fand auf einem ehemaligen Fliegerhorst der Deutschen Wehrmacht in Rothwesten eine geheime, militärisch bewachte Versammlung von Wirtschaftsexperten ehemaliger Reichsbehörden und Fachleuten der westalliierten Siegermächte statt, um die Währung in den Westzonen Deutschlands infolge der darniederliegenden Wirtschaft und des blühenden Schwarzmarktes neu zu sortieren. Das „Konklave von Rothwesten“ gilt als der Laborraum des deutschen Wirtschaftswunders.

Anfang März 1948 entschlossen sich die Alliierten unter der Federführung der US-Amerikaner, eine Währungsreform in den drei Westzonen durchzuführen. Es war von Beginn der Überlegungen an klar, dass diese Reform eine wirtschaftliche und politische Teilung des besetzten Deutschland nach sich ziehen würde. Bereits im Jahr 1946 lagen den Amerikanern Pläne von den Professoren Colm, Dodge und Goldsmith (CDG-Plan) vor. Als Alternative galt der Homberger Plan, der von der Sonderstelle für Geld und Kredit, dem Nachfolger der ehemaligen Deutschen Reichsbank, ausgearbeitet wurde. Diese Sonderstelle war 1947 vom Wirtschaftsrat der Bizone eingerichtet worden. Sie bestand nur aus Wirtschaftsfachleuten. Bis Ende 1948 stand der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard diesem Gremium vor. Erhard war in seiner Homburger Zeit in der „Villa Hansa“ in der Kisseleffstraße 21 untergebracht, wo auch die offizielle Adresse der Expertenkommission war. Für die Sitzungen nutzte man allerdings das Kaminzimmer der „Villa Meister“ in der Kaiser-Friedrich-Promenade 109.

Zum Thema „Wirtschaftlicher Aufbau und Währungsreform nach dem Zweiten Weltkrieg“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

14. Symbol der Freiheit im Kalten Krieg – Das Frankfurter Luftbrückendenkmal

Die ehemalige Reichshauptstadt Berlin stand nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Kontrolle der Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion. Berlin wurde, wie auch Wien, in vier Sektoren aufgeteilt und lag inmitten der Sowjetischen Besatzungszone. Das Verhältnis zwischen den Siegermächten verschlechterte sich aufgrund von grundlegenden Systemfragen, der sogenannte Kalte Krieg begann. Berlin wurde zur Projektionsfläche verschiedener Machtproben zwischen den ehemaligen Verbündeten und zum Sinnbild westlicher Demokratie.

Zu einer ersten großen Krise kam es im Zuge der Währungsreform vom 20. Juni 1948, die in allen westlichen Besatzungszonen Deutschlands und vier Tage später auch in West-Berlin durchgeführt werden sollte. Die Einführung einer gemeinsamen Währung aller Siegermächte scheiterte vorher am sowjetischen Veto. Ernst Reuter, Oberbürgermeister von West-Berlin, betonte am 24. Juni 1948 auf einer Großkundgebung der SPD vor 80.000 Zuhörerinnen und Zuhörer, der Währungsstreit sei keine finanzpolitische Frage, sondern Ausdruck des Kampfes zweier gegensätzlicher wirtschaftlicher und politischer Systeme. Die Einführung der D-Mark auch in den drei Westberliner Zonen am gleichen Tag führte zur Berlin-Blockade durch die Sowjetunion.

Die Sowjetunion ließ die drei sogenannten Westsektoren der Stadt von der Versorgung auf dem durch ihre Besatzungszone verlaufenden Landweg abriegeln. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte nicht nur die Land-, sondern auch die Wasserwege von der Westzone nach West-Berlin vom Juni 1948 bis Mai 1949 gesperrt. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Westsektoren von Berlin spürten im Alltag schnell die Auswirkungen der Berlin-Blockade. Der Nachschub an Lebensmitteln und vielen wichtigen Gütern war zunächst abgeschnitten. Die Berliner Luftbrücke stellte die Versorgung der Westsektoren aus der Luft durch hunderttausende Flüge sicher. Ernst Reuter hielt am 9. September 1948 seine bekannteste Rede zur Lage der West-Berliner Bevölkerung und zum symbolhaften Charakter des Kampfes um West-Berlin vor dem Reichstag. Reuter sagte:

„Völker der Welt! Tut auch ihr eure Pflicht und helft uns in der Zeit, die vor uns steht, nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, nicht nur mit den Transportmöglichkeiten, die ihr hierherschafft, sondern mit dem standhaften und unzerstörbaren Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere Zukunft und die auch allein eure Zukunft sichern können. Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiß, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!“

Für die West-Berliner, aber auch für die Westdeutschen insgesamt waren die unaufhörlich ein- und abfliegenden „Rosinenbomber“ weit mehr als die Sicherung der Nahrungsversorgung. Dass die maßgebliche Westmacht USA diese logistische Großleistung auf sich nahm, um den Übergriff der Sowjetunion auf Westberlin zu verhindern, eröffnete die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, während im Osten Deutschlands vor allen Augen bereits die Errichtung einer Diktatur nach sowjetischem Vorbild im Gange war. So trug die Luftbrücke auch zum Ende der Besatzungszeit „in den Köpfen“ bei und führte zum Wandel der Wahrnehmung der Westalliierten von Besatzern hin zu Partnern, an deren Seite der Weg hin zur Demokratisierung gangbar erschien. Erst am 30. September 1949 wurde die Luftbrücke offiziell beendet. An die Berlin-Blockade und die Berliner Luftbrücke erinnert seit 1951 ein nach den Plänen von Eduard Ludwig geschaffenes Luftbrückendenkmal vor dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof.

Ein zur Berliner Skulptur korrespondierendes Duplikat wurde vier Jahre vor dem Fall der Mauer im Juni 1985 an der ehemaligen Rhein-Main Air Base auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens aufgestellt. Initiator dieser Denkmalerrichtung war der Verein „Luftbruecke Chapter of the Airlift Tanker Association e.V.“ Neben dem Denkmal stehen zwei Flugzeuge, die als Typen während der Luftbrücke im Einsatz waren. Das Denkmal ist prinzipiell zugänglich. Das Ensemble wurde 2015 um den Berliner Meilenstein ergänzt, einen Stein, der erkennbar macht, dass die Entfernung vom Frankfurter Kreuz bis in die Bundeshauptstadt Berlin 550 Kilometer beträgt. Ursprünglich stand der Meilenstein seit 1958 zwischen den Fahrbahnen der A 5. Als die Fahrbahn 1970 verbreitert werden musste, viel der Stein dem zunehmenden Verkehr zum Opfer und wurde versetzt.

Zum Thema „Frankfurter Luftbrückendenkmal“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

15. Die „Einheitsbrücken“ zwischen Hessen und Thüringen

Die friedliche Revolution in der DDR, die Öffnung der Grenzen und der Fall des Eisernen Vorhangs zählen zu den Sternstunden deutscher Demokratiegeschichte. Dem Mut und dem Veränderungswillen der Menschen in der Noch-DDR war es zu verdanken, dass das SED-Regime und die Teilung Deutschlands weitestgehend friedlich und zumindest ohne dass ein Schuss fiel endeten. Die Proteste in DDR und der Mut der Menschen bereiteten der Deutschen Einheit im wahrsten Sinne des Wortes den Weg.

Gelegen an der ehemaligen hermetisch abgeriegelten Grenze zu Thüringen, die ein tief ins DDR-Hinterland reichendes Sperrgebiet und Grenzregime abriegelte, gibt es wichtige Orte der positiven Demokratiegeschichte: die „Einheitsbrücken“. An ihnen oder mitten durch diese hindurch verlief die deutsch-deutsche Grenze. Ihre Abriegelung oder Sprengung und späterer Wiederaufbau waren sowohl ein steinernes Symbol der Teilung als auch der späteren Begegnung und Wiedervereinigung. Denn hessische und thüringische Bürgerinnen und Bürger, die in den Grenzgebieten wohnten, nutzten diese Brücken als Ort der sehr persönlichen Wiedervereinigung zwischen Menschen und Familien.

Die bekannteste „Brücke der Einheit“ verläuft über die Werra zwischen dem thüringischen Vacha und dem hessischen Philippsthal. Die Brücke selbst gehörte noch zur DDR, da die Grenze hier am Westufer der Werra verlief. Ein Kuriosum der deutschen Teilung: Die Grenze verlief durch einen Gebäudeteil des ehemalige Druckereigebäude Hoßfeld an der Brücke. Nachdem das Bauwerk in den Jahrzehnten der Teilung mit Stacheldraht, Wachturm und Grenzzäunen unzugänglich war, konnten nach der Grenzöffnung zwischen Vacha und Philippsthal am 12. November 1989 die Menschen über die Brücke erstmals wieder zusammenkommen. Regelmäßig werden in Philippsthal und Vacha große Einheitsfeierlichkeiten abgehalten, an denen zum Teil Tausende zusammenkommen, um der Einheit an dieser Stelle zu gedenken.

Eine weitere Werrabrücke zwischen Lauchröden (Thüringen) und Herleshausen (Hessen) war 1945 von der US-Army gesprengt worden. Nur Brückenpfeiler blieben stehen, auf denen in der Zeit der deutschen Teilung ein DDR-Wachturm stand. Es war jedoch ein besonderer symbolischer Akt, dass schon im Dezember 1989 innerhalb kürzester Zeit wieder eine provisorische Holzbrücke an dieser Stelle errichtet wurde, über die sich die jahrzehntelang Getrennten wieder begegnen konnten.

Jahre später wurde sie durch die heutige massive Konstruktion ersetzt. Die familiären Bindungen zwischen den Einwohnern beider Ortschaften ließen sich also durch die Jahrzehnte der Teilung nicht kapppen. Bis heute treffen sich die Menschen am Tag vor Weihnachten an der feierlich geschmückten Lauchröder Brücke, um ihre Wiedervereinigung zu feiern. Ganz in der Nähe befindet sich die im Aufbau befindliche Gedenkstätte Werra-Grenzpark Herleshausen, die an die deutsche Teilung erinnern soll.

Auch die 1945 von der Wehrmacht gesprengte Brücke bei Lindewerra in Thüringen über die Werra, entlang deren Westufer die innerdeutsche Grenze verlief und von der nur wenige Brückenreste zurückblieben, wurde erst 1999 wieder aufgebaut und trägt seither ebenfalls den Namen „Brücke der Einheit“. Sie verbindet den Ort mit den historischen Gemarkungen und dem hessischen Ort Oberrieden. Früher, vor der Teilung Deutschlands, hatten die Bauern auf der hessischen Seite ihre Felder bestellt und überquerten hierzu die Brücke. Nach 1990 ließen die Bewohner Lindewerras nicht locker, bis die alte Brücke mit Mitteln aus Hessen und Thüringen wiedererrichtet werden konnte. Sie entstand aus starkem bürgerschaftlichem Engagement heraus.

16. Amerika-Häuser in Hessen

Orte der demokratischen Reeducation und Werbeagenturen für die USA

Amerika-Häuser hatten in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft viele Funktionen und erzeugten verschiedenste Reaktionen. Sie waren Repräsentationsflächen antiamerikanischer Proteste, Räume des kulturellen Austausches, Orte der demokratischen Orientierung und Werbeagenturen für die USA. Heute sind die Amerika-Häuser aus der öffentlichen Wahrnehmung westdeutscher Städte fast vollständig verschwunden, bildeten aber in der Bonner Republik und speziell in Hessen, besonders in den 1960er bis 1990er Jahren, Schmelztiegel kultureller und politischer Demokratisierungsprozesse.

Geplant waren die Amerika-Häuser ursprünglich als Niederlassungen der United States Information Agency in der Bundesrepublik und stellten sogenannte „Information Centers“ für das US-amerikanische Militärpersonal dar. Gleichzeitig sollten die überwiegend in den 1950er Jahren gegründeten Institutionen der deutschen Nachkriegsgesellschaft die Geschichte der USA, ihre Traditionen und Gebräuche näherbringen. Aber auch Orte der Orientierung und des Neustarts im Rahmen der demokratischen Reeducation der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg sollten die Amerika-Häuser werden. Im Laufe der Zeit erweiterten die Einrichtungen ihr Angebot, so dass neben dem ursprünglichen Bibliotheksangebot auch Ausstellungen, sogenannte „lecture discussions“, Filmvorführungen und andere Veranstaltungen hinzukamen. Aber auch die besonders für junge Menschen oft richtungsweisenden Beratungen für Schulaustauschprojekte mit US-amerikanischen Partnerschulen wurden vor Ort angeboten. Die Amerika-Häuser waren dadurch ein wesentlicher Teil US-amerikanischer „Public Diplomacy“-Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Im Gleichschritt mit dem Wandel der USA von Besatzungsmacht hin zu westdeutscher Schutzmacht entwickelten sich die Amerika-Häuser schrittweise zu Zentren der amerikanischen Kultur- und Informationspolitik.

Dadurch leisteten sie durch die Darstellung kultureller und demokratischer Errungenschaften der USA mit Vorbildfunktion im Rahmen der Politik der Westintegration einen Beitrag zu Konsolidierung der Bundesrepublik.

Folgende Standorte von Amerika-Häuser gab es in Hessen:

  • Büdingen
  • Darmstadt (jetzt: John-F.-Kennedy-Haus)
  • Frankfurt am Main (jetzt: Sitz des Instituto Cervantes)
  • Gießen
  • Kassel
  • Marburg (jetzt: Stadtbücherei)
  • Wiesbaden

Das Bild der Amerika-Häuser in der öffentlichen Wahrnehmung veränderte sich besonders stark in den 1960er Jahren. Immer häufiger wurden auch die Amerika-Häuser in Hessen Schauplätze und Ziele von zum Teil militanten Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen junger Menschen und Studierender. In der Folge mussten die Amerika-Häuser immer öfter durch die Polizei geschützt werden. Das Amerika-Haus in Frankfurt am Main wurde dennoch Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre mehrfach mit Steinen und Farbbeuteln attackiert, auch kleiner Anschläge wurden auf das Gebäude verübt. Eine zweite Welle der antiamerikanischen Proteste vor und gegen Amerika-Häuser entstand während des Irakkrieges Anfang der 1990er Jahre.

Im September 2007 wurde das letzte deutsche Amerikahaus geschlossen. Bei den meisten Amerika-Häusern in Deutschland konnten die Einrichtungen in anderer Form weitergeführt werden, häufig als eingetragene Vereine, als wissenschaftliche Institute und weitere Orte kulturellen und politischen Austausches.

17. Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945

Demokratiebildung und Exilforschung seit 1945

Das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main ist bis heute ein Ort der Auseinandersetzung mit den Themen Exil und Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus. Gesammelt werden Zeugnisse des Exils, darunter Publikationen sowie institutionelle und persönliche Nachlässe von exilierten Autorinnen und Autoren. Die Gründung des Exilarchivs in der frühen Nachkriegszeit wurde von Exilierten selbst mitinitiiert. Die Betroffenen sahen darin eine Möglichkeit zur politischen Aufklärung der postnationalsozialistischen Gesellschaft.

1933 wurde die Deutsche Bücherei, die bis dahin zum Reichsministerium des Innern gehörte, dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt. Verschiedene Dienststellen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) hielten Einzug, um die Maßnahmen zur kulturellen und geistigen Gleichschaltung zu überwachen. Schriften von exilierten Autorinnen und Autoren wurden gezielt in die Sammlung aufgenommen. Ab dem 12. Oktober 1936 verbot die NSDAP die nationalbibliografische Anzeige dieser Werke. 1939 erfolgte die Erfassung der Werke in regelmäßig erscheinenden „Listen der in der Deutschen Bücherei unter Verschluss gestellten Druckschriften“.

Die Idee, eine „Bibliothek der Emigrationsliteratur” nach dem Zweiten Weltkrieg aufzubauen – die Keimzelle des Deutschen Exilarchivs – stammt von Hanns Wilhelm Eppelsheimer aus dem Jahr 1948. Gemeinsam mit exilierten Publizistinnen und Publizisten sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus dem „Schutzverband Deutscher Schriftsteller in der Schweiz”, darunter Walter Fabian und Jo Mihaly, wurde die Gründung der „Bibliothek der Emigrationsliteratur” beschlossen.

Wilhelm Eppelsheimer, der erste Direktor der damals gegründeten Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, setzte sich mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern das Ziel, eine Bibliothek der Emigrationsliteratur im eigenen Haus aufzubauen. 1949 forderte der „Schutzverband Deutscher Schriftsteller in der Schweiz” seine Mitglieder sowie Freundinnen und Freunde deshalb auf, ihre im Exil veröffentlichten Werke für die geplante Sammlung zur Verfügung zu stellen. 1950 trafen die ersten Bücher der „Emigrantenbibliothek“ als Geschenke ein. Die Sammlung wird von da an stetig erweitert und durch private Aufzeichnungen etc. ergänzt.

Am 28. Mai eröffnete der hessische Kultusminister Ernst Schütte die Ausstellung „Exil-Literatur 1933–1945“. Die Ausstellung und der Ausstellungskatalog trugen in der Bundesrepublik wesentlich dazu bei, die Erforschung des deutschsprachigen Exils 1933–1945 anzuregen. Erst ab 1969 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Exilforschung.

Die kulturelle Vermittlungsarbeit des Exils zwischen 1933 und 1945 besitzt bis heute in der Arbeit des Deutschen Exilarchivs einen großen Stellenwert. Durch Ausstellungen, ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm und Publikationen sollen Beiträge zur lebendigen Erinnerungskultur an die kulturellen Ausgrenzungsprozesse in der Zeit des Nationalsozialismus aufrechterhalten werden. Gerade in der aktuellen Weltlage sind weiterhin unzählige Autorinnen und Autoren tagtäglich aufgrund politischer Umstände dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und im Exil schriftstellerisch tätig zu sein. Das Deutsche Exilarchiv in Frankfurt am Main ist ein Mahnmal, weil es uns vor Augen führt, dass die Ausgrenzung politisch Andersdenkender und das Verbot der Meinungsfreiheit solidarische und humanistische Gesellschaften zerstören. Gleichzeitig ist das Deutsche Exilarchiv auch ein Ort der hessischen Demokratiegeschichte, weil es zeigt, dass für eine Demokratie das geschriebene, freie Wort und die Erforschung von Exilerfahrungen ein Quell demokratischer Bildung sein kann.

18. Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution

Die Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution sind das internationale Zentrum über die Verfolgung durch die nationalsozialistische Diktatur mit dem weltweit größten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Organisation hat ihren Sitz in der nordhessischen Stadt Bad Arolsen. Bis zum 20. Mai 2019 waren die Arolsen Archives unter dem Namen Internationaler Suchdienst (englisch International Tracing Service; ITS) bekannt. Diktaturen und andere autoritäre Systeme vertuschen oder beeinflussen eine gelebte Erinnerungskultur. Demokratien dagegen fördern die Aufklärung und Aufarbeitung – auch noch nach Jahrzehnten des Vergangenen. Deshalb zählen die Arolsen Archives zu den Demokratieorten.

Die Arolsen Archives beantworten bis heute jährlich Anfragen zu rund 20.000 Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes. Die Klärung von Schicksalen und die Suche nach Vermissten war über Jahrzehnte die zentrale Aufgabe der Institution, die 1948 von den Alliierten gegründet wurde. Das Archiv ist zugleich die Grundlage für Forschung und Bildung. Seit 2015 bauen die Arolsen Archives ein umfassendes Online-Archiv auf, um den weltweiten Zugriff auf die Dokumente zu ermöglichen.

Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört seit Juni 2013 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des nationalsozialistischen Regimes, zur Zwangsarbeit sowie zu Displaced Persons und Migration nach 1945.

19. Königstein / Haus der Länder (Villa Rothschild)

1887 beauftragte die jüdische Banker-Familie der Rothschilds den Franzosen Amand Louis Bauqué und den Italiener Emilio Pio mit den Entwürfen für die Villa in Königstein. Die neue Sommerresidenz von Wilhelm Carl von Rothschild (1828 – 1901),mit dessen Tod übrigens die männliche Linie des deutschen Zweiges der Familie erlosch, wurde fortan zum Empfang hochrangiger Adliger und Wirtschaftsleute genutzt. Die Eröffnung des Hauses war ein gesellschaftliches Ereignis, an dem unter anderen auch die britische Kaiserin Viktoria und der Prince of Wales teilnahmen.

1938 emigrierte die Familie Rothschild vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in die Schweiz. Das Gebäude wurde von der Reichsfinanzverwaltung beschlagnahmt. In der sogenannten „Reichskristallnacht“, heute Reichspogromnacht genannt, wurde das Gebäude durch den Königsteiner Bürgermeister Müllenbach vor der geplanten Vernichtung bewahrt. Müllenbach wurde in der Folge von NSDAP-Gauleiter Sprenger wegen Befehlsverweigerung umgehend seines Amtes enthoben. Bis zur Kapitulation 1945 waren in der Villa Büros der Frankfurter Metallgesellschaft, sowie deren Tochter Lurgi untergebracht. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg nicht beschädigt.

Das Land Hessen übernahm die Villa; sie wurde von 1948 bis 1949 als Tagungshaus von Gremien des Vereinigten Wirtschaftsgebiets und der westdeutschen Ministerpräsidenten genutzt. Während dieser Zeit wurde es auch Haus der Länder genannt und galt als „Wiege des deutschen Grundgesetzes und der Bundesrepublik“. Die CDU und CSU berieten in dieser Villa über die gemeinsame Arbeit als Fraktionsgemeinschaft im deutschen Bundestag.

1955 kaufte die Stadt Königstein im Taunus die Villa von der Familie Rothschild, der es zwischenzeitlich zurückgegeben wurde, und baute sie zu einem Hotel um, das 1956 unter dem Namen Hotel Sonnenhof eröffnete.

20. Wilhelmsbad Hanau / Wilhelmsbader Fest 1832

Der Staatspark Wilhelmsbad ist eine ehemalige Kuranlage mit Park in Hanau und bildet heute den gleichnamigen Stadtbezirk im Stadtteil Nordwest. Wilhelmsbad  bildete am 22. Juni 1832 den Schauplatz für eine der bedeutendsten politischen Versammlungen im Vormärz. Zwischen 8.000 und 10.000 Menschen trafen sich in der 1779 eröffneten Kuranlage und traten für Presse- und Meinungsfreiheit ein. Es gibt Wissenschaftler, die das Wilhelmsbader Ereignis ähnlich wirkungsvoll wie das Hambacher Fest oder das Gaibacher Fest im gleichen Jahr an der Konstitutionssäule in Unterfranken einschätzen.

Am 22. Juni 1832 fand in der Nachfolge des Hambacher Festes in Wilhelmsbad ein politisches Volksfest mit 8.000 bis 10.000 Teilnehmern statt. Hauptredner war der Heidelberger Student und Burschenschafter Karl Heinrich Brüggemann, der 1834 in Preußen zum Tode verurteilt, später jedoch zu Festungshaft begnadigt und 1840 freigelassen wurde. Weitere Redner waren die Darmstädter Demokraten Theodor Reh und Friedrich Wilhelm Schulz sowie Georg Fein, Redakteur der liberal-demokratischen Zeitung „Deutsche Tribüne“.

21. Bürgerschaftliches Engagement: Grube Messel

Von der geplanten Mülldeponie zum UNESCO-Weltnaturerbe

Die Grube Messel im Landkreis Darmstadt-Dieburg in Hessen ist ein stillgelegter Ölschiefer-Tagebau. Wegen der hervorragenden Qualität der dort geborgenen Fossilien aus dem Eozän wurde sie 1995 zum UNESCO-Weltnaturerbe ernannt.

Noch vor dem endgültigen Ende des industriellen Ölschieferabbaus in der Grube Messel fiel die Wahl bei der Suche nach einem geeigneten Standort für eine zentrale Mülldeponie für Südhessen auf die Grube Messel. Grund dafür war zum einen ihre Größe und zum anderen ihre zentrale Lage im Rhein-Main-Gebiet. Erst nach Ende des industriellen Ölschieferabbaus 1971 in der Grube machten private Fossiliensammler sensationelle Funde.

1984, nach Antritt einer von den Grünen tolerierten hessischen SPD-Minderheitsregierung – alle vorherigen Beschlüsse zur Deponie Grube Messel waren von einer sozialliberalen Koalitiongetroffen worden –, verordnete der neue UmweltministerClauss auf Druck der Grünen einen Baustopp in Messel. Der Betreiber, der Zweckverband Abfallbeseitigung Südhessen (ZAS), klagte dagegen jedoch vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof und bekam Recht, woraufhin die Bauarbeiten wieder aufgenommen wurden. Die hierfür benötigten Gelder wurden durch entsprechende Beschlüsse auf kommunaler Ebene (Landkreis Darmstadt-Dieburg, Stadt Darmstadt, Verbandsversammlung des ZAS) – mit Zustimmung von SPD-Delegierten – vorerst weiter zur Verfügung gestellt. Die bürgerschaftlichen Proteste gegen die Mülldeponie führten aber zum Erfolg: Nachdem die Grube 1991 vom Land Hessen für über 32 Millionen DM gekauft worden war, übertrug es den Betrieb der Grube der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, die seither dort, offiziell unter bergrechtlichen Bedingungen, zu wissenschaftlichen Zwecken Ölschiefer abbaut. In der Folge ist die Grube Messel aufgrund zahlreicher Funde von einzigartiger Qualität zu einer Fossillagerstätte von Weltrang aufgestiegen.

Am 8. Dezember 1995 wurde sie zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt.

Zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement: Grube Messel. Von der geplanten Mülldeponie zum UNESCO-Weltnaturerbe“ können bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung folgende Publikationen bestellt werden:

22. Kurhotel Schlangenbad: Ort der Entstehung des Bundeswahlgesetzes

Am 15. Juni 1949 versammelten sich die Ministerpräsidenten der westlichen Länder im hessischen Kurhotel Schlangenbad im weiteren Umfeld von Frankfurt. Ziel war es, ein Wahlgesetz für die in Gründung befindliche Bundesrepublik zu verabschieden. Dies war Voraussetzung für die erste freie, demokratische Wahl nach dem Zweiten Weltkrieg.Im Sommer 1949 neigte sich der Prozess der staatlichen Neukonstituierung Westdeutschlands dem Ende zu. Das Grundgesetz war bereits einen Monat zuvor verabschiedet worden, nun stand die erste Bundestagswahl bevor. Dafür musste eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen werden – das Wahlgesetz. Der Weg jenes Gesetzes – ein stufenweiser Einigungs- und Abstimmungsprozess zwischen den wichtigsten politischen Akteuren – war typisch für die Nachkriegszeit und die westdeutsche Staatenbildung: Der Parlamentarische Rat hatte im Rahmen der Erarbeitung des Grundgesetzes Beschlüsse zum neuen Wahlgesetz gefasst. Daraufhin nahmen die britischen, französischen und US-amerikanischen Militärgouverneure als Repräsentanten der westlichen Besatzungsmächte Änderungen an jenen Beschlüssen vor. Schließlich wurde die geänderte Fassung den Ministerpräsidenten am 15. Juni 1949 vorgelegt und das Wahlgesetz am gleichen Tag verabschiedet.
Die Konferenz im Kurhotel Schlangenbad verdeutlicht die zentrale Rolle der Ministerpräsidenten bei der Konstituierung der Bundesrepublik. Sie haben nicht nur die Umsetzung der Frankfurter Dokumente verantwortet und den Parlamentarischen Rat auf den Weg gebracht, sondern auch das Wahlrecht für den neu geschaffenen Bundestag verabschiedet.

23. Robert-Blum-Denkmal in Petterweil

Der 1807 in Köln geborene Robert Blum war ein deutscherPolitiker, Publizist, Philhellene, Verleger und Dichter in den Jahren vor und während der Revolution von 1848. Er stammte aus der Unterschicht und hatte sich zum Teil autodidaktisch weitergebildet. Auch war er eine führende Persönlichkeit der liberalen und nationalkirchlichen Bewegung des Deutschkatholizismus, was heute vielfach vergessen wird. Blum war Abgeordneter in dem als Folge der Revolution entstandenen ersten demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlament, der Frankfurter Nationalversammlung. Dort setzte er sich als einer der führenden Köpfe der Demokraten für eine republikanische Verfasstheit des deutschen Nationalstaats ein. Dabei war er auf Kompromisse mit dem linken Flügel der Liberalen ebenso bedacht wie auf einen strikt demokratischen Kurs.

Ob als Idealist, Träumer oder gescheiterter Revolutionstruppenführer betrachtet: Allgemein war sein politisches Handeln eher von den situationsgegebenen Erfordernissen bestimmt als von einem programmatischen Kurs. Während der zweiten Revolutionsphase nahm Blum am Wiener Oktoberaufstand 1848 auf der Seite der Revolutionäre an der Verteidigung Wiens gegen die kaiserlich-österreichischen Truppen teil und wurde nach der Niederschlagung des Aufstands nach einem Standgerichtsurteil hingerichtet.

Blum ging als „Märtyrer“ in die Geschichte ein, wodurch seine politischen Leistungen freilich in den Hintergrund gedrängt wurden. Durch die Hinrichtung Robert Blums am Jahrestag des 18. Brumaire 1799 setzte die österreichische Regierung das Zeichen für den Beginn der bonapartistischen Phase der Fürstenherrschaft in Europa, wenige Wochen vor der Wahl Napoleon III. zum Präsidenten in Frankreich. Sein Tod markierte zugleich das Ende des konstitutionellen Abschnitts der Märzerhebung und war Ausdruck des Ausscheidens der Habsburgermonarchie aus dem geplanten deutschen Nationalstaat.

Das heute in Hessen liegende, bedeutende Robert-Blum-Denkmal ist ein Gedenkstein im Karbener Ortsteil Petterweil. Er wurde am 9. Juli 1849 in Erinnerung an den ein halbes Jahr zuvor hingerichteten Revolutionär und Abgeordneten der Nationalversammlung Robert Blum auf der Bauchwiese etwas außerhalb des Dorfes an der Verbindungsstraße nach Rodheim vor der Höhe errichtet. Das Denkmal ist ein etwa 150 Zentimeter hoher Steinobelisk. An seiner Vorderseite erinnert eine Inschrift an die Wiesenrede Blums, die er am 9. Juli 1848 an dieser Stelle vor einer Volksversammlung gehalten hatte, die der örtliche Pfarrer Heinrich Christian Flick organisiert hatte.

Es war die letzte Rede vor seiner Hinrichtung. 1852 musste der Gedenkstein auf staatliche Verordnung hin entfernt werden. Die Dorfbevölkerung vergrub ihn zum Schutz. Am 10. November 1895 im Wilhelminischen Kaiserreich erhielt man die Genehmigung, den Stein wieder aufzustellen, was in einer feierlichen Zeremonie dann auch geschah.

24. Paulskirchen-Nachwehen: Das Ober-Laudenbacher Gefecht am 24. Mai 1849

Die europäische Revolution von 1848/1849 ist – mit Ausnahme der Schweiz – gescheitert. König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die ihm von Volkesgnaden angetragene Kaiserwürde im April 1849 als „imaginären Reif aus Dreck und Lettern“ ab, die Reaktion unter Führung des preußischen und österreichischen Militärs brachte die revolutionären Brandherde im Laufe des Jahres 1849 wieder unter aristokratische Kontrolle. Weit weniger bekannt als das Narrativ von der „gescheiterten Revolution“ ist, dass der bewaffnete Kampf einiger überzeugter Revolutionäre für die Umsetzung der Paulskirchenverfassung noch bis in den Juli 1849 andauerte. In diesem politischen Klima trafen Revolutionäre am 24. Mai 1849 in Ober-Laudenbach bei Heppenheim mit hessischem Militär zusammen – unweit des Gasthofs „Zum halben Mond“, wo 18 führende Liberale sich am Vorabend der Revolution im Oktober 1847 über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschen Bund beraten hatten.

Mit dem Scheitern der Kaiserdeputation im April 1849 erstarkte die Konterrevolution sowohl militärisch als auch politisch. Aus der Weigerung Friedrich Wilhelms IV., „König der Deutschen“ zu werden, folgte die Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung, die übrigen Revolutionäre wichen in den liberalen Süden und bildeten in Stuttgart ein sogenanntes „Rumpfparlament“. Nachdem führende Liberale wie Georg Friedrich Kolb und Heinrich Arminius Riemann zum bewaffneten Kampf für die Paulskirchenverfassung in der „Reichsverfassungskampagne“ aufgerufen hatten, kam es im Mai 1849 vielerorts zu gewaltsamen Aufständen.

Am 23. Mai formulierten Liberale und Revolutionäre in Erbach unter der Führung des Arztes und demokratischen Publizisten Ferdinand von Loehr, des Pfarrassesors Karl Ohly (im Übrigen Bruder des späteren Darmstädter Bürgermeisters Albrecht Ohly) und des Politikers Ludwig Bogen, der selbst als Abgeordneter in der Paulskirche gewirkt hatte, einen liberal geprägten Forderungskatalog an die Regierung des Großherzogtums Hessen. Eine Delegation sollte die Forderungen an den Großherzog überreichen und am nächsten Tag von einer bewaffneten Volksversammlung im badischen Unterlaudenbach zurückempfangen werden. Im Falle der Ablehnung des Maßnahmenkatalogs war das Vorrücken Richtung Darmstadt geplant.

Wegen der Weigerung des Unterlaudenbacher Bürgermeisters, revolutionäre Ziele zu unterstützen, zog die mehrere Tausend Menschen umfassende Versammlung – darunter in erster Linie Handwerker und Tagelöhner unter der Führung einiger Intellektueller – tags darauf, am 24. Mai, ins hessische Ober-Laudenbach weiter. Unter ihnen befand sich auch Franz Sigel, der als Absolvent der Karlsruher Kadettenschule 1848 ein Freikorps zur Durchsetzung revolutionärer Ziele aufgestellt hatte und in der provisorischen badischen Regierung unter Lorenz Brentano als Kriegsminister diente. Am frühen Abend des 24. Mai trafen die von Oberst Georg Dingeldey und dem Dirigenten der Regierungs-Kommission des Regierungsbezirks Heppenheim, Christian Prinz, geführten Truppen des hessischen Militärs ebenfalls in Ober-Laudenbach ein, um die Ablehnung der Forderungen durch den hessischen Großherzog zu überbringen. Die Geschehnisse der folgenden Minuten lassen sich nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren. Verschiedenen Darstellungen zufolge versuchte Prinz die Aufständischen mit Worten von der Sinnlosigkeit ihres Unterfanges zu überzeugen, woraufhin die Revolutionäre ihn gewaltsam angriffen und er durch einen oder mehrere Schüsse starb. Prinz‘ Tod führte zu einem Schusswechsel zwischen Dingeldeys Truppen und den Revolutionären, die Richtung badische Grenzen zu fliehen versuchten. 13 Personen kamen im Ober-Laudenbacher Gefecht ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt oder gerieten in Gefangenschaft.

Trotz der Fürstentreue der hessischen Soldaten und dem Erschrecken über die in Ober-Laudenbach erlebte Gewalt beteiligten sich einige Überlebende des Ober-Laudenbacher Gefechts nur wenige Tage später aufseiten der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee am Heppenheimer Gefecht vom 30. Mai 1849. Die Niederlage der Revolutionäre im Gefecht von Heppenheim und Hemsbach am 30. Mai markierte einen entscheidenden Wendepunkt für die badische Revolution als letzte Bastion der Reichsverfassungskampagne.

Bereits 1851 errichtete die Obrigkeit am Ort des Gefechts einen Gedenkstein für den gefallenen Christian Prinz. Erst 1974 wurde ein solcher für die umgekommenen Freiheitskämpfer hinzugefügt, die als „im Kampf gescheiterte Verkünder einer neuen Zeit“ geehrt wurden.